Sie waren zehn
Väterchen!« antwortete Wanda.
»Du willst damit sagen, daß wir uns an ihn gewöhnen sollen?«
»So ist es. Ich liebe ihn.«
»Sie liebt ihn! Ha! Sagt das so daher! Wieso liebst du ihn?«
»Sprich leiser!« zischte Antonina. »Wenn er das hört …«
»Der schläft! Die Augen fielen ihm ja schon zu bei der dritten Partie. Die letzten Züge – wie ein Schwachsinniger hat er gespielt!« Semjon Tichonowitsch ließ einen röhrenden Wind frei – er war kein vornehmer Mensch, der sich so etwas verkneift.
»Wieso liebst du Mama?« fragte Wanda zurück. Semjon schien diese Frage aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er wälzte sich in seinem knarrenden Bett und hüstelte wieder. »Das ist etwas anderes!«
»Wieso?«
»Das Kind kann fragen!« knurrte Semjon. »Ich werde mir das morgen alles genau überlegen …«
Iwanow starrte an die gekalkte, fleckige Küchendecke und war zufrieden. Er hatte Moskau erreicht, hatte eine sichere Unterkunft, ein Mädchen liebte ihn, morgen würde er eine Arbeit annehmen. Ohne Schwierigkeiten hatte er sich in das russische Land eingeschlichen. Ob die anderen neun auch solch ein Glück gehabt hatten? Er dachte intensiv an sie: an den kleinen Plejin, den kritischen Boranow, den Opernliebhaber Kraskin und die Großfresse Petrowskij. In sechs Wochen wissen wir mehr. Dann werden wir uns melden auf der Frequenz von Sassonows Funkgerät. Und dann werden wir uns wiedersehen bei der schönen Milda Ifanowna Kabakowa und auf der Lauer liegen, bis Stalin in greifbare Nähe kommt.
Sie liebt mich, dachte er. Wanda Semjonowna liebt mich … Zeigen Sie keine Gefühle, hatte Oberst von Renneberg gesagt. Wenn es nötig ist, legen Sie sich mit einer Frau ins Bett. Aber seien Sie nur Körper, schalten Sie Ihre Seele aus! Denken Sie nur an das eine Ziel: Stalin!
Iwanow drehte sich auf die andere Seite und blickte auf die angelehnte Tür zum Nebenraum. Melde, Herr Oberst: Ich liebe Wanda auch! Man kann davor nicht weglaufen, Herr Oberst. Solbreit – Verzeihung – Petrowskij würde mit seiner großen Schnauze sagen: Die Vorbereitungen waren lückenhaft. Man hätte uns alle auch noch kastrieren müssen. Aber seien Sie beruhigt, Oberst von Renneberg: Die Aktion Wildgänse wird planmäßig durchgezogen.
Irgendwann in der Nacht – Iwanow merkte es nicht – öffnete sich lautlos die Tür, und Wanda huschte in die Küche. Semjon schnarchte zum Gotterbarmen; in den Pausen hörte man den pfeifenden Ton von Antonina. Auch Iwanow schlief fest; er lag mit bloßem Oberkörper auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, als sonne er sich.
Wanda kniete neben seiner Matratze, betrachtete ihn mit glücklichen Augen, streichelte ganz vorsichtig über seine weißblonden Locken, beugte sich vor und küßte seine Brust, seinen Magen und die breite Narbe seiner Wunde.
»Du bist so schön …«, flüsterte sie. »O Fedja – die anderen Weiber werden sich auf dich stürzen wie Wespen auf einen Honigtopf! Ich werde um mich schlagen müssen.«
Ein kleiner, mickriger Kerl war er, der Genosse Bauleiter des Kombinats III für Wiederaufbau. Viktor Leontiewitsch Skamejkin hieß er, hockte in einem Büro am Ende der langen Verwaltungsbaracke und war bei den Weibern seiner Brigade ein gefürchteter Mann. Nicht wegen der Arbeitsnormen, sondern lediglich wegen seines unstillbaren Dranges, jeden Rock als eine Art Vorhang zu betrachten, den man zur Seite ziehen und das darunter verborgene schöne Bild beäugen durfte. Das gab oft zu Mißverständnissen und handgreiflichen Auseinandersetzungen Anlag, aber ab und zu gelang es Skamejkin doch, ein Mädchen auf seine spitzen Knie zu ziehen und mit der einen Hand oben, mit der anderen tiefer tätig zu werden. Meistens waren Versetzungen zu leichteren Arbeiten die Anerkennung für die Duldung solcher Fingerübungen.
Skamejkin betrachtete Iwanow nicht sehr wohlwollend, prüfte penetrant gründlich die Entlassungspapiere aus der Roten Armee, ließ sich die große Narbe zeigen, weil Wanda unbedingt auf diesem Indiz bestand, und kratzte sich dann die dünne Nase.
»Es ist schwierig!« sagte er mit bedeutungsvoller Stimme. »Fast unmöglich! Sie müssen zentral erfaßt werden, sonst bekommen Sie keine Lebensmittelmarken. Nur wer in der zentralen Kartei des Arbeitsamtes steht, hat ein Recht, zu fressen! Das schützt uns vor den Banditen, die sich überall drücken, aber trotzdem einen Bauch vor sich hertragen! Das Arbeitsamt aber weist Sie zu – ob nun gerade zu unserer Brigade, das weiß der
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