Sie waren zehn
Hinter Ihnen steht also nicht eine begrenzte militärische Aktion, sondern Ihre Aufgabe ist weit gewichtiger!« Oberst Smolka lächelte dünn. »Wir haben ja auch unsere eigenen Erfahrungen mit unseren Spitzenleuten. Irgendwo gleichen sich die Methoden, auch wenn jeder um Modifikation bemüht ist. – Du lieber Himmel, warum sprechen Sie nicht? Denken Sie an das Kriegsende!«
»Für mich ist der Krieg zu Ende!«
»Das stimmt. Sie haben Familie?«
»Eine Frau und ein Kind. Einen Sohn. Noch ein Säugling …«
William Heiko, dachte Sassonow. Mein kleiner Junge, jetzt will man mich mit dir erpressen. Ich weiß, was Oberst Smolka jetzt reden wird. Der große Stich in Herz und Gewissen.
Tatsächlich sagte Smolka:
»Ich garantiere Ihnen, daß Sie Frau und Sohn nach dem Krieg in bester Verfassung wiedersehen. Sie werden in ein Offizierslager bei Moskau kommen, in dem Sie Kameraden vom Komitee Freies Deutschland treffen werden. Den General von Seydlitz, um nur einen Namen zu nennen. Offiziere mit Ehrgefühl, die in Stalingrad begriffen haben, daß Ihr Führer Adolf Hitler ein irrer Verbrecher ist.«
»Sie könnten an meinem Ehrgefühl zweifeln, Herr Oberst, wenn ich auf diesem Stuhl hier zum Verräter würde.«
»Sie sind ins Messer gelaufen, Major von Labitz!« Smolka nickte zufrieden. »Ihre Bemerkung enthält die Wahrheit, daß Sie Ihre Aktion nicht allein ausführen.«
Sassonow schwieg und biß sich auf die Lippen. Ein Fehler! Oberst von Renneberg, ich erkenne Ihre Ansicht jetzt voll an: Bei diesem Einsatz gibt es kein Ausweichen mehr! »Verfügen Sie über mich!« sagte Sassonow hart und blickte Smolka voll an. »Das ist der letzte Satz, den Sie von mir hören.«
Neun Stunden dauerte die Qual. In einem schalldichten Kellerraum prasselten die Schläge auf Sassonows nackten Körper, legte man ihn auf elektrisch geladene Stahlplatten, rief ihn mit kalten Wassergüssen zur Wirklichkeit zurück, wenn er ohnmächtig wurde, briet ihn zwischen Scheinwerfern, hing ihn mit nach hinten gedrehten Armen an Stricken auf, schnürte seine Hoden mit elastischen Bändern ab, die sich bei Nässe wie Gummi zusammenzogen und einen nicht mehr ertragbaren Schmerz durch den Körper jagten … Sassonow sagte kein Wort. Wohl schrie er, brüllte seinen Schmerz gegen die grauen Betonwände, unartikulierte Laute, nur noch schrille Töne der Qual, aber wenn man ihn in den Zwischenräumen der Ruhe fragte, gab er keine Antwort.
Nach neun Stunden starb er endlich. Ein Stromschlag war zu hoch berechnet, der zermarterte Körper widerstand ihm nicht mehr. Das Herz zerriß und erlöste Sassonow.
Oberst Smolka verzichtete darauf, den Toten noch einmal zu sehen. In manchen stillen Augenblicken haßte er sein Metier – ein solcher Tag war auch heute. Er saß in seinem Büro, verkroch sich fast in seinem Kunstledersessel und nahm die Vollzugsmeldung stumm entgegen.
Zwei Stunden später fuhr ein unscheinbarer, geschlossener Lastwagen den Leichnam Sassonows in das Krematorium. Er wurde verbrannt, seine Asche streute ein Krematoriumsarbeiter auf ein Blumenbeet, das bewundernswert üppig hinter dem Kesselhaus blühte.
Semjon Tichonowitsch Haller war ein bulliger Kerl und wusch sich gerade unter der Wasserleitung im Flur einer Gemeinschaftswohnung, die er mit vier anderen Familien teilte. Auf jede Familie kamen zwei Zimmer, eine gemeinsame Küche, eine Toilette und zwei Waschbecken, von denen eins in der Küche, eins im Flur an der Wand hing. Zum Waschen benutzte ein ästhetischer Mensch das Becken im Flur, schon deshalb, weil es nicht jedermanns Geschmack ist, sein Gemüse oder seine Kartoffeln in dem gleichen Becken zu spülen, in dem sich Panteleij Iwanowitsch, der Nachbar, der vom Straßenbau teerverschmiert nach Hause kam, die Füße säuberte. Auch von Semjon Tichonowitsch konnte man nach Rückkehr von der Arbeit nicht eine saubere Haut erwarten; er stand an der riesigen Stahlsäge in einem Walzwerk und kehrte gepudert mit Eisenspänen nach Hause zurück. Im Waschraum des Werkes war zwar der gröbste Dreck abgespült, so richtig sauber aber fühlte er sich erst, wenn er im Flur seiner Wohnung in einem Holzfaß hockte und sich mit einer Wurzelbürste abgeschrubbt hatte.
Semjon Tichonowitsch saß noch bis zum Hals in seiner Holztonne, als sein Töchterchen Wanda Semjonowna die Tür aufschloß, einen fremden Kerl in die Wohnung schob und fröhlich sagte: »Ah! Da ist ja Väterchen! Kommt gerade von der Schicht!« Sie winkte dem nackten Mann zu,
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