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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Oberfläche.
    Es war Abend geworden. Moskau lag dunkel unter einem fahlen, warmen Himmel. Wenn auch die Deutschen für die Moskauer keine Gefahr mehr waren – die Verdunkelung blieb bestehen. Und dies, obwohl man es für ausgeschlossen hielt, daß deutsche Flugzeuge über Moskau erscheinen könnten, nachdem man in den letzten Monaten gesehen hatte, daß etwas geradezu Unbegreifliches geschehen war: Die sowjetische Luftflotte hatte die Lufthoheit wiedererobert. Die gefürchteten deutschen Bombergeschwader gab es nicht mehr, die entnervenden Stuka-Angriffe waren nur noch Alpträume aus ferner Zeit, die schnellen Jagdbomber der Deutschen wurden schon beim Anflug abgefangen und weggedrängt. Der Luftraum über Moskau war frei – so frei, wie in absehbarer Zeit das ganze Land sein würde. Wer fürchtete sich noch vor den Deutschen? In ein paar Tagen würde man sogar über sie lachen; wie die Hasen würden sie vor den donnernden Reihen der T 34 herlaufen oder sich in Erdlöchern verkriechen, wo man sie 'rausholen würde wie Regenwürmer. Geduld, Genossen, nur noch ein wenig Geduld! In diesem Jahr 1944, merkt euch das, wird die Weltgeschichte umgeschrieben werden. Weltgeschichte? Vergeßt dieses Wort! Es wird von jetzt ab nur noch Russische Geschichte heißen, denn die Welt wird Rußland heißen.
    Sepkin pilgerte die breite Gorkistraße hinunter, vorbei an den alten Nobel-Hotels Lux und National mit ihren reichverzierten Fassaden, ging über den Swerdlow -Platz und blickte hinüber zum Kreml. Dann umkreiste er das Bolschoi-Theater, wanderte zur Gorkistraße zurück und suchte ein Lokal, wo er etwas essen konnte. Er entschied sich für das Restaurant Baku in der Uliza Gorkowa 24, aber hier kam er nicht weiter als bis in den Vorraum. Dort stand ein großer finsterer Mensch, musterte ihn, als habe Sepkin schon beim Eintritt einen unerwünschten Gestank verbreitet, und wedelte mit seinen riesigen Händen.
    »Besetzt!« sagte er grollend. Das war glatt gelogen, denn Sepkin sah durch eine Scheibe, daß das Lokal fast leer war. Ein paar Offiziere der Roten Armee hockten herum und stocherten lustlos in einem Gemüsebrei.
    »Ich habe Marken!« sagte Sepkin und klopfte gegen seine Brusttasche. »Lieber Bruder, ich komme von weit her und möchte mich in Moskau heimisch machen. Aber wenn schon gleich beim ersten Versuch ›Besetzt‹ gebrüllt wird …«
    »Besetzt!« sagte der finstere Mensch stur.
    »Ich sehe genug leere Tische …«
    »Hebe dich hinweg!« sagte der Mann mit den riesigen Händen. »Heute ist eine geschlossene Gesellschaft da! Begreifst du das endlich! Kein Publikumsverkehr! Geladene Gäste! Dreh dich um und drück die Tür auf!«
    Sepkin verzichtete auf weitere Diskussionen und verließ das Baku. Er schlenderte die Uliza Gorkowa wieder hinunter, Richtung Kreml, blieb vor dem Hotel National stehen und betrachtete die großen, verhängten Fenster. Nach einigem Zögern betrat er den Eingang zum Restaurant, wühlte sich durch einen schweren, lichtabdichtenden dunkelroten Filzvorhang und stand in dem großen Speisesaal. Alle Tische waren besetzt, aber für einen echten Russen ist das kein Hindernis. Ein Russe sitzt sowieso nicht allein an einem Tisch, sondern nur in Gemeinschaft, denn nur ein voll besetzter Tisch mit wartenden Genossen lockt einen Kellner herbei. Ein einzelner, der einen ganzen Tisch für sich allein hat, ist für das Personal einfach nicht vorhanden. Die Würde eines Kellners verbietet es, einen einzelnen zu bedienen; er ist für die Allgemeinheit da. Hier, im Hotel National, gab es längst keine Kellner mehr. Vier mürrische Mädchen, davon eine so dick, daß sie mangels Platz zwischen Händen und Busen nur jeweils einen Teller tragen konnte, standen herum, betrachteten die Gäste als persönliche Beleidigung und Beschneidung ihrer Freiheit und sahen auch Sepkin mißmutig entgegen, wie er durch die Tische drängte und den einzigen noch freien Platz am Tisch 23 besetzte. Das bedeutete, daß man nun Tisch 23 bedienen mußte. »Welch ein warmer Abend!« sagte Sepkin zu seinen Tischnachbarn, die ihn mit einem Nicken willkommen hießen. Es waren Fremde, Mitglieder einer Parteidelegation aus Buchara, die, mit Sondermarken ausgerüstet, neugierig auf das warteten, was man dafür zu essen bekam.
    Das Mädchen, das Tisch 23 bediente, sah Sepkin böse an, strich die Essenmarken ein und verkündete: »Heute gibt es eine Pochljobka …«
    »Oh, das ist gut!« Sepkin klatschte in die Hände. »So eine dicke Suppe

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