Sie waren zehn
füllt den Magen. Was können Sie uns noch anbieten, Schwesterchen?«
Das Mädchen schürzte die Lippen, ihr Blick verriet, daß sie Sepkin für einen entlaufenen Idioten hielt, aber sie antwortete doch mit schleppender Stimme: »Eine Rybnaja Soljanka …«
Das ist nun etwas ganz besonders Feines, wenn man es in Friedenszeiten ißt. Eine pikante Fischsuppe ist's; in der Fischbrühe gart man grüne Gurken, Kapern, Tomaten, Zwiebelringe, Zitronen, Oliven und Petersilie, und natürlich Fischstückchen, in die man Gewürze hat einziehen lassen. Dazu gibt es mit Quark gefüllte Blätterteigtaschen und Schwarzbrot mit Senf und Salz. Liebe Freunde, ist das ein Schmatzen, wenn man solch eine Rybnaja vor sich stehen hat! Dann lobt man Gott, daß er den Magen als einen dehnbaren Sack geschaffen hat!
Jetzt aber war 1944, und Krieg war es, und Stalin hatte gesagt, daß man mit vollen Bäuchen und dicken Ärschen keinen Großen Vaterländischen Krieg gewinnen könne, genau wie drüben die Deutschen, denen man zurief: »Brot oder Kanonen?« und die aufjubelten »Kanonen!« obgleich ihnen der Hunger in den Därmen röhrte. So war es logisch, Genossen, daß alle, die für eine hervorragende Fischsuppe sorgen mußten, verhindert waren. Die Bauern, die Zwiebeln, Tomaten und Gurken ziehen sollten, lagen den Deutschen gegenüber; Zitronen und Oliven kamen erst gar nicht bis Moskau, denn die Eisenbahnen mußten Munition befördern, und die Fischer, die Fische fangen mußten, trugen ebenfalls Uniformen, waren drauf und dran, Berlin zu erobern. Wie also – frage ich – soll da eine gute Rybnaja Soljanka entstehen?
Was auf den Tisch kam, war ein Gefräß aus Wasser, in dem einige Stückchen herumschwammen, die zwar nach Fisch rochen, aber wie Gummi schmeckten. Heiß war die Suppe, das muß man zur Ehre der Küche feststellen; sie dampfte wie in Friedenszeiten, und Schwarzbrot gab es auch, eine dünne Scheibe, glitschig, nicht durchgebacken, aber schon beim Senf hockte der Krieg wieder am Tisch, denn Senf gab es nicht. Die Parteidelegation aus Buchara starrte betroffen in die Fischsuppe und sah dann Sepkin an. Es war offensichtlich, daß man auch noch 1944 in der Usbekischen Sowjet-Republik angenehmer essen konnte. Dort, im Serawschantal der Wüste Kysylkum, gab es noch Hammelfleisch in Fülle, und ohne Essenmarken. Und die Fische, die man aus den spärlichen Bächen holte, waren zwar klein, aber sie schmeckten nach Fisch, so wundervoll zart, daß man sie sogar roh essen konnte.
»Der Magen wird voll, das ist die Hauptsache«, sagte Sepkin und löffelte seine Fischsuppe. Er polkte das glitschige Brot in die Brühe, ließ es aufquellen und trank dazu eine Flasche Narsan , das ist ein geschmackloses Mineralwasser.
Während er seinen Bauch mit so viel Flüssigkeit füllte, dachte er intensiv darüber nach, wo er die erste Nacht in Moskau verbringen sollte. Es gab da einige Möglichkeiten. Man konnte sich zum Beispiel bei der Miliz melden und sagen: »Genossen, hier bin ich! Aus der Armee entlassen, soll ich mich in Moskau melden. Das ist gut befohlen – aber wo soll ich mich hinlegen? Kann man mir ein Hotelzimmer geben? Nein! Gibt es hier Lagerstätten für Durchreisende? Wie kann ich das wissen? Meine Lieben, ratet mir. Ich bin müde, und morgen soll ich einen guten Eindruck machen, wenn ich mich beim Natschalnik melde.«
Man könnte sich auch an die Behörden wenden, aber die hatten ihre Büros längst geschlossen. In einer so warmen Nacht wie heute konnte man auch am Ufer der Moskwa schlafen, im Gras liegend, vom Murmeln der Flußwellen in den Schlaf gewiegt. Oder man lief kreuz und quer durch Moskau, klapperte alle Hotels und Zimmervermittler ab und bekam so die Nacht herum mit der Suche nach einem Bett, das man am Morgen nicht mehr brauchte. Es ist schon eine Strafe, meine Lieben, als Fremder und ohne gütige Verwandte oder Bekannte nach Moskau zu kommen. Wie ein Ausgestoßener fühlt man sich. Ein Bett will er haben, in Moskau so einfach ein Bett, wo er sich langstrecken und schnarchen kann? Hört ihn mal an: strolcht da so einfach in die Stadt und glaubt, aus jedem Fenster hingen einladend die Kissen. Er wartet vielleicht auch noch ein Weibchen, das ihm die Hosen auszieht?!
Sepkin bezahlte die erstaunliche Fischsuppe, wünschte der Delegation aus Buchara noch viele schöne Tage in Moskau, was die Genossen mit einem scheelen Blick erwiderten, und trat wieder hinaus auf die Uliza Gorkowa . In einem Neubau könnte man schlafen,
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