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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dachte er sich. Eine gute Idee ist das. So ein halbfertiges Haus hat den Vorteil, daß sich niemand dafür interessiert. Die Bauarbeiter kommen morgens zu einer Zeit, wo man längst schon wieder unterwegs ist, und sollte es regnen, hat man ein paar Betondecken über sich und kann sich genußvoll räkeln, während draußen das Wasser gegen die Wände klatscht. Entschließen wir uns also für einen Rohbau, Piotr Mironowitsch. Es ist ja nur eine Nacht. Ab morgen werden die Genossen vom Zentralen Arbeitsamt für dich sorgen.
    Er bog von der breiten Uliza Gorkowa ab, wanderte durch die Stanislavskogo uliza zur breiten Allee der Gercena uliza und erreichte hier den Nikitskije-Vorota-Platz , einen der Drehpunkte der großen Ringboulevards, neben der U-Bahn, dem Kreml und dem Gorkipark für Kultur und Erholung, dem Stolz der Moskauer.
    Hier, an der Ecke der Kacalova uliza , fand Sepkin den Neubau, den er suchte. Ein hohes Verwaltungsgebäude, dem monumentalen Denkmal Alexander Tolstois gegenüber, noch von Gerüsten eingeschalt, umgeben von Baracken und Steinhaufen, Sandbergen und Mischmaschinen. Ein imposantes Haus, dem nachts jeder aus dem Wege ging – aus Angst, irgend etwas könne ihm auf den Kopf fallen.
    Sepkin wurde von diesen Besorgnissen nicht geplagt. Er kletterte über die Baumaterialien, tastete sich in die weite, dunkle Höhle des Rohbaus hinein, fand eine breite, aus Beton gegossene Treppe in die Kellergeschosse und entschied sich für den ersten Keller als Schlafraum. Von hier aus konnte man schnell und ungesehen wieder verschwinden, wenn der Morgen graute und bevor die Bautrupps das Gebäude besetzten. Eine Nachtwache gab es nicht, obgleich sie eigentlich notwendig sein sollte. Wieviel wertvolle Dinge lagen hier herum! Schon ein einziger Sack mit Zement ist ein Kapital in diesen schlechten Kriegszeiten. Und dann die Nägel, Schrauben, Moniereisen, zu Körben gebogene Eisenstäbe, fertig zum Ausgießen als Fenstersturz, die Holzkeile, Schalbretter, Gerüstketten und Haken … Es war unverständlich, daß nicht dauernd Patrouillen um den Neubau kreisten und Interessenten wie Ratten verjagten.
    Die Moskauer sind brave Genossen, dachte Sepkin. Er setzte sich auf den Betonboden, lehnte sich gegen die Wand und schloß müde die Augen. Seid gelobt, liebe Brüder. Eure Ehrlichkeit verschafft mir ein Ruheplätzchen. Nun sei ein gut trainierter Mensch, Piotr Mironowitsch, programmiere dich und deine innere Uhr auf das Morgengrauen und ziehe die Mütze des Schlafes über dich. Der nächste Tag wird anstrengend werden.
    Er nickte ein, von der wohltätigen Stille seines Kellers umhüllt, und wäre wohl in tiefen Schlaf versunken, wenn er nicht plötzlich über sich ein Poltern und laute Stimmen gehört hätte. Er schrak hoch, sprang auf die Beine, erreichte mit einigen großen Sprüngen den schützenden Bogen der Treppe, patschte durch Wasserlachen und trat auf ein Brett, das hochschnellte und schmerzhaft gegen sein Bein prallte.
    Über ihm, in dem großen Raum, von dem die Kellertreppe herunterführte, schrie eine helle Stimme auf. Dröhnendes Gelächter antwortete ihr, aber der Schrei der Frau war durchdringender, herausgestoßen aus tödlicher Angst. Sepkin hörte es jetzt deutlich: über ihm schrie jemand um Hilfe, dem das Kreischen als einzige Waffe geblieben war.
    Lassen Sie sich nie provozieren, hatte Oberst von Renneberg gesagt. Blicken Sie von allem weg, was Sie nichts angeht. Kümmern Sie sich nur um sich und Ihre Aufgabe; alles andere gibt es für Sie nicht! Weichen Sie allen Situationen aus, in denen man Ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken könnte, als Sie gebrauchen können. Kommen Sie zum Beispiel nie auf den Gedanken, einen Ertrinkenden zu retten; man wird Sie feiern, und das kann später für Sie tödlich sein. Verstehen wir uns?
    Aber Sie haben nicht an eine Frau gedacht, die um Hilfe schreit, Herr Oberst … Sepkin schlich zu den Treppenstufen. Wenn Sie das hören könnten … diese Angst, dieses »Hilfe! Hilfe!«, diese Verzweiflung! Das soll man ertragen können, feig in eine dunkle Ecke gedrückt?
    Er rannte die Treppe hinauf und sah schon auf den letzten Stufen, die er wie zum Sprung nahm, daß nur mit seinem vollsten Einsatz etwas zu retten war. Zwei betrunkene Rotarmisten hatten ein Mädchen in den Rohbau gezerrt und bemühten sich nun, ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Einer hielt das Mädchen von hinten umschlungen, und während die Überfallene sich mit Tritten und Umsichschlagen wehrte und

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