Sie waren zehn
hinüberblickte zur Tscherskasskaja, verschwamm sie vor seinen Augen, nur die weißen Wölbungen ihrer leinenbedeckten Brüste hoben sich deutlich ab.
Nein, sagte Plejin zu sich und schloß die Augen. Nein, Ljudmilaschka! Ich bin hier, um Stalin zu töten. Ich soll dem Krieg eine andere Wende geben; man erwartet von mir eine Änderung der Weltgeschichte. Von mir, einem kleinen Fähnrich, zwanzig Jahre alt. Ich soll Deutschland retten! Ich habe Angst davor – nur dir sage ich es jetzt, weil du es nicht hören kannst –, aber ich werde es tun! Ich werde Stalin töten. Sie alle hoffen darauf … die Kameraden an der Front, die Menschen in der Heimat. Oh, verdammt, ich habe Angst …
Er schlief ein und begann leise pfeifend zu schnarchen wie ein junger Hund.
Am nächsten Nachmittag erreichten sie Moskau.
Der fette Dytschkin verabschiedete sie mit wässerigen roten Augen und stank erbärmlich aus dem Hals. Er bedankte sich für die Abwechslung und winkte ihnen sogar noch nach, was wenig militärisch aussah, aber er war ja auch ein neu uniformierter Pensionär, dem man manches verzieh.
Die Tscherskasskaja hatte sich wieder in den Leutnant verwandelt, der seine Uniform mit Strenge trug. Plejin hatte ihr Gelegenheit gegeben, sich still aus der Zelle zu entfernen, als der Morgen graute. Er wusch sich auf der Toilette, und als er zurückkam, war die Pritsche leer. Später beim Frühstück sahen sie sich kaum an, redeten belangloses Zeug miteinander und hatten auch auf dem Weg nach Moskau lange Strecken des Schweigens. Meist fuhren sie eingekeilt in Lastwagenkolonnen und Militärnachschub, und ab Sagorsk half nur das provisorisch montierte zuckende Rotlicht, ihnen den Weg freizumachen. Wer vermutet schon in einem offenen grünen Fordwagen ein Milizkommando?
Als sie den breiten Prospekt Jaroslavskoje herunterfuhren und sich dem Dschershinski -Erholungspark näherten, hielt die Tscherskasskaja auf der Brücke an, die über die Reka Jauza , einem der Zweigarme der Moskwa, führte. Sie bremste an der Straßenseite und wandte sich Plejin zu.
»Was haben Sie nun vor?« fragte sie mit dienstlicher Stimme. Plejin hob die Schultern. »Wir sind in Moskau. Werfen Sie mich hinaus. Den Rest schaffe ich allein.«
»Wo wollen Sie wohnen?«
»Ich nehme an, in der zentralen Psychiatrischen Klinik. Ich werde die Ärzte mit meinem Dreifachsehen ganz schön aufregen, zumal es verschwunden ist. Der Deckenbalken des Onkels …«
»Man wird Sie sofort zur Front zurückschicken!«
»Das ist möglich. Ein gesunder Mensch muß jetzt dem Sieg dienen!«
»Sie bleiben im Wagen!« sagte die Tscherskasskaja hart. »Sehen wir, was noch kommt.«
Sie fuhren zu Ljudmilas Kommandantur. Plejin blieb im Wagen, während die Milizionäre mit der Tscherskasskaja im Gebäude verschwanden. Aber schon nach zwanzig Minuten kam sie allein zurück und schwang sich wieder hinter das Steuer.
»Zwei Tage Urlaub habe ich bekommen«, sagte sie. »Ein Geschenk, weil es so gut geklappt hat. Der Wagen bleibt hier stehen, wir werden mit der Metro fahren.«
»Wohin?«
»Bis zur Station Turgenevskaja . Dort steigen wir aus und gehen in die Marchlevskogo uliza .«
»Einverstanden. Aber was soll ich da? Liegt dort die Psychiatrische Klinik?«
»Genau gegenüber der Polnischen Kirche steht ein gelbgestrichenes Haus. In der zweiten Etage wohne ich. Drei kleine Zimmer.«
»Drei Zimmer! Welch ein Luxus!«
Sie lächelte verhalten. »Mein Onkel ist Major der Miliz. Er arbeitet jetzt im Führungsstab.«
»Und Sie laden mich ein in Ihre Wohnung, Ljudmila Dragomirowna?«
»Wir sollten noch einmal über Ihre Krankheit sprechen, Kolka. Es ist auch noch früh genug, wenn Sie sich morgen bei den Ärzten melden.«
Er nickte stumm, blickte sie an und ertrank in ihren Bernsteinaugen.
Eine halbe Stunde später stand er in ihrem kleinen Wohnzimmer, dessen einziger Schmuck ein großes Stalinbild in einem massiven Holzrahmen war. Die Möbel bestanden aus hellem Buchenholz, die grünen Polsterbezüge hatten gelbe Tupfen. Es sah lustig aus, und doch ein wenig ärmlich. Nur das Notwendigste stand in diesen drei kleinen Zimmern, sie hatten keine persönliche Atmosphäre, waren eine Behausung, aber kein Zuhause.
»Es gefällt Ihnen nicht?« fragte die Tscherskasskaja und vertauschte den Uniformrock mit einer weiten, seidenglänzenden, bestickten Bucharajacke; die Stiefelhosen und die Stiefel ließ sie an.
Plejin stand unter dem Stalinbild und betrachtete es schweigend. Sein Opfer!
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