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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Glut. Dann schien die Sonne ins Zimmer, über die Straße klapperten Pferdefuhrwerke, hupte ein Auto. Plejin schlief wie ein Narkotisierter, lag wie ausgelaugt auf dem Rücken, atmete flach. Im Schneidersitz hockte die Tscherskasskaja neben ihm, betrachtete ihn und strich mit dem rechten Zeigefinger ganz leicht über sein Brustbein.
    »Mein kleiner Kolka«, sagte sie, als spräche eine Mutter glücklich zu ihrem genesenden Kind. »So jung … Und du sollst von den Deutschen totgeschossen werden …«
    Der Bauleiter des Kombinats III – Betonbau –, der Genosse Viktor Leontinowitsch Skamejkin, hatte Wort gehalten: Fjedor Pantelijewitsch Iwanow bekam eine gute Stelle bei der Einschalbrigade. Wanda Semjonowna freute sich so darüber, daß sie sich überwand und Skamejkin, diesem triefäugigen, mickrigen Bock, aus Dankbarkeit einen Kuß gab. Vitja, der Geile, wie man ihn im Kombinat nannte, wollte das mit einem schnellen Griff zwischen die Schenkel ausnutzen, aber er war nicht schnell genug. Wanda hüpfte davon, wiegte sich an der Tür lachend in ihren Hüften und ließ einen ziemlich rotgesichtigen Genossen zurück.
    Die Familie Haller hatte sich schnell an den neuen Untermieter gewöhnt.
    Das Töchterchen hatte erklärt, man solle Iwanow nicht mit den herrenlosen Hunden vergleichen, die sie bisher in die Wohnung mitgebracht hatte; sie liebe diesen Mann, er sei ein Held und ein armer Invalide mit seiner großen Narbe, und sie redete so lange und so laut, bis Vater Semjon Tichonowitsch so, wie er war, nämlich in Hose und Unterhemd, hinüber zu seinem Nachbarn flüchtete.
    Auch das Problem des Schlafens wurde mit der Gottesgabe der Russen, der Improvisation, schnell gelöst: Iwanow bekam in der Küche eine Ecke zugewiesen, in der man abends eine dreiteilige Matratze auslegte, die, am Tage aufeinandergeschichtet, wiederum einen Sesselersatz bildete. Die Matratze stammte von dem Nachbarn, zu dem Semjon Tichonowitsch geflüchtet war, und der Iwanow, Wandas erste bekannte Liebe, eingehend durch die angelehnte Tür musterte.
    »Ein schöner Mensch«, sagte der Nachbar zu den Hallers, als Wanda und Fjedor Pantelijewitsch zur Arbeit fuhren und man ihnen vom Fenster nachblickte, wie sie Hand in Hand, glücklichen Kindern gleich, zur Metro-Station gingen. »Diese blonden Haare! Kommt aus dem Norden, was?«
    »Danach haben wir noch gar nicht gefragt!« Semjon Tichonowitsch setzte sich auf die hochgestapelte Matratze und kratzte sich den Nasenrücken. Er hatte heute Spätdienst und war nur aus seinem Bett gekommen, um dem plötzlichen Gast beim schnellen Frühstück Gesellschaft zu leisten. Sein Töchterchen benahm sich wie eine betrunkene Glucke, schmierte Iwanow das Brot, goß ihm Tee ein, umflatterte ihn, als müsse sie Mücken verjagen, und kämmte ihm sogar das Haar, während er am letzten Bissen kaute. »Ein guter Schachspieler ist er. Ein höflicher Genosse mit einer guten Bildung – man merkt das sofort. Wenn er sich in den Zähnen polkt, hält er die Hand davor und wendet sich ab.«
    »Wahrhaftig, er hat Bildung.« Panteleij Iwanowitsch, der Nachbar, der beim Straßenbau den Teer versprühte und deshalb immer in einer herbsüßen Duftwolke herumlief, beglückwünschte die Hallers und trank den Tee, den Iwanow übriggelassen hatte.
    Unterdessen fuhr Fjedor Pantelijewitsch mit zwei Lastwagen der Einschalbrigade in den Kreml. Er hatte sich bewußt ganz hinten in den Wagen gesetzt, nachdem ihn der Vorarbeiter als neuen Kollegen vorgestellt hatte. Die meisten waren alte Männer, die ihm ohne Interesse zunickten oder ihm eine schwielige Hand reichten, oder ganz Junge, halbe Kinder noch, die ihn umarmten, als sie erfuhren, daß er geradewegs von der Front zu ihnen gekommen war.
    Wie immer – sein bester Ausweis war das – zeigte Iwanow seine Narbe und wurde in die Gemeinschaft aufgenommen. Ein alter Arbeiter, der noch den Ersten Weltkrieg mitgemacht hatte, bei Tannenberg in deutsche Gefangenschaft geraten war und später auf den Seiten der Roten gegen den ›weißen‹ General Denikin gekämpft hatte, lobte nach Begutachtung der Narbe die russischen Ärzte und berichtete von einem Genossen, den ein Granatsplitter der Deutschen in der Mitte durchgesägt und den man dann wieder zusammengenäht habe. »Sie hatten keine Wasserwaage dabei, die Ärzte, haha«, meckerte der Alte. »Ein bißchen schräg haben sie die beiden Teile aufeinandergesetzt. Wenn Piotr nach rechts blickte, ging er in Wirklichkeit geradeaus …«
    Der

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