Sie waren zehn
russischer Dreck, Herr Major.« Radek legte seinen Helm auf einen Feldstuhl. »Das mit Berlin kann doch nur ein Witz sein.«
»Das habe ich auch gedacht.« Major Sauer nahm ein Blatt Papier vom Tisch und setzte seine Brille auf. »Ich habe das Telefongespräch mitstenographieren können. Angerufen hat die Division. Der Ia. Gottvater-Stellvertreter. Und nun hören Sie mal zu, Radek: ›Hier Vangenheim. Major Sauer?‹ Guten Tag! Wie sieht's bei Ihnen aus? Beschissen, ich weiß!«
»Bis hierhin ist er noch normal!« warf Radek ein.
Sauer nickte. »Aber jetzt kommt's: ›Ich will es kurz machen, Major Sauer. Bei uns ist eben ein Funkspruch des OKW eingetroffen, weitergeleitet vom Armee-Oberkommando. Dringend! Oberleutnant Peter Radek ist sofort aus der Frontlinie zurückzuziehen und nach Eberswalde in Marsch zu setzen. Die Division hat für die nötigen Reisepapiere zu sorgen. Oberleutnant Radek stehen die schnellsten Transportmittel zur Verfügung. Beim Luftgeschwader II steht ein Kurierflugzeug bereit. Wir erwarten sein schnellstes Eintreffen in Eberswalde. – Ich habe dem nichts hinzuzufügen, weil wir selbst nicht wissen, was der Befehl vom OKW bedeutet.‹ – Soweit Vangenheim.« Major Sauer ließ das Blatt sinken. » Was sagen Sie nun, Radek?«
»Nichts. Ich staune.«
»Die ganze Division staunt. Haben Sie einen Onkel beim OKW?«
»Nein. Ich bin der einzige Offizier in meiner Familie.«
»Pfui!« Major Sauer goß zwei Gläser billigen Weinbrand ein, Marketenderware. »Und ausgerechnet Eberswalde!«
»Was ist mit Eberswalde?«
»Dort liegt die Offiziersreitschule Brandenburg.«
»Ich habe nie Ambitionen gehabt, reiten zu lernen. Das muß doch ein Irrtum sein.«
»Ihr Geburtsdatum stimmte, das hat Vangenheim auch noch zur Sicherheit durchgegeben. Sie sind in Riga geboren?«
»Stimmt!«
»Irrtum ausgeschlossen.« Major Sauer stieß mit Oberleutnant Radek an. »Die große, säugende Mutter, das OKW, schreit nach Ihnen. Vielleicht will man Sie in Eberswalde zum Kosakenhetmann ausbilden lassen? Solche Spinnereien sähen denen ähnlich! Lassen Sie sich überraschen, Radek! Prost! Und schreiben Sie mir eine Karte, wenn Sie sich zum erstenmal den Hintern wund geritten haben.«
Radek ließ sein Glas unberührt. Über den Rand blickte er zu seinem Bataillonskommandeur.
»Und meine 3. Kompanie?« fragte er. »Wer übernimmt die?«
»Ich schicke Leutnant Heinze von der 4. als Vertretung hinüber.«
»Heinze kommt gerade von der Kriegsschule. Keinerlei Fronterfahrung. Ein paar Monate Frankreich. Aber da hat er mehr mit offener Hose gekämpft.«
»Er wird die paar Tage schon durchstehen. Ende der Woche soll die Front verkürzt werden. Die Hauptsache ist, daß er sich flach hinlegen kann.«
Am nächsten Morgen schon meldete sich Oberleutnant Peter Radek beim Ia der Division, Oberst Vangenheim . Ein schöner großer Wagen, ein Horch, raste mit ihm zum Luftgeschwader II. Es mußte sehr dringend sein, aber niemand wußte, was das OKW ausgerechnet von einem kleinen Oberleutnant wollte.
Um 14.20 Uhr stieg die Kuriermaschine, eine Fokker, in den blauen russischen Himmel. Richtung Berlin. Nur Radek und der Pilot, ein Luftwaffenfähnrich, waren an Bord.
Um 14.37 Uhr meldete Oberfeldwebel Hagemüller aus der HKL: »Leutnant Heinze soeben gefallen. Kopfschuß. Die verdammten sibirischen Scharfschützen …«
Wie gesagt, an der Front war es in diesen Tagen still, fast schläfrig.
von Ranowski, Berno
24 Jahre
Oberleutnant
Sie lagen in einem Waldstück südlich von Orscha. Vor ihnen schimmerten die Gleise der Bahnlinie im verhangenen Mondlicht. Der große, einzige Schienenstrang von Brest - Litowsk über Minsk, Borissow, Orscha, Smolensk und weiter bis nach Moskau, fast neben der Rollbahn, der wichtigsten Straße im mittleren Rußland, einherlaufend. Zwei Lebensadern, über die der deutsche Nachschub rollte. Verpflegung, Munition, Waffen, Panzer, Werkstätten, Ersatzteile, Urlauber in die Heimat, zurückgekommene Urlauber, die ihre Truppenteile suchten, neue, frische, junge Soldaten, im Schnellverfahren ausgebildet, halbe Kinder noch, mit großen Augen auf die Landschaft starrend, die an ihnen vorüberzog: Rußland, das große, weite, schöne, schreckliche Rußland, in dessen Erde sie sich jetzt festkrallen sollten. Zur Ehre Deutschlands, nach dem Willen des Führers, des größten Feldherrn aller Zeiten, wie Goebbels ihn nannte – zur Rettung der Heimat, auf die diese östlichen Untermenschen – so nannte sie
Weitere Kostenlose Bücher