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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Freundschaft zu dem Genossen Bauleiter Skamejkin war noch nicht so groß, daß er überblicken konnte, ob eine Fürsprache auch Erfolg hatte. Der kleine, mickrige, von Minderwertigkeitskomplexen geplagte und Frauenröcken nachjagende Viktor Leontijewitsch würde wohl ein Ohr für Wanda Semjonowna haben, aber Iwanows Gefühl signalisierte ihm, daß es zur Zeit besser sei, keine Freunde vor Wanda zu präsentieren. So viel Zufall – daß ein aus der Armee entlassener Soldat im großen Moskau auf gleich zwei ebenfalls entlassene Kameraden trifft – müßte auch bei den Hallers, vor allem bei Väterchen Semjon Tichonowitsch, merkwürdige Gedanken aufkommen lassen.
    »Zu früh«, sagte Iwanow deshalb. »Es ist schon eine Auszeichnung, daß ich in der bevorzugten Brigade arbeite. Das verdanke ich nur Wanda Semjonowna.«
    »Gott erschuf den Mann, und mit ihm einige Zentimeter Unwiderstehlichkeit!« rief Petrowskij. »Bitte aufzustehen, wer von uns nicht über ein Bett in Moskau Fuß gefaßt hat! Niemand schnellt hoch? Liebe Brüderchen, man stellt fest, daß wir alle in geordneten Verhältnissen leben.« Und plötzlich wurde er ernst, sehr ernst, wie man Petrowskij nur einmal gesehen hatte: als in Eberswalde ihr Mordauftrag bekanntgegeben wurde. »Ich liebe Larissa auch. Ich liebe sie wirklich …« – er sah sich um – »ist einer unter uns, der gestehen könnte, er umarme sein Mädchen nur, weil es ihn ahnungslos versteckt?«
    »Vermeid es, weiter Blech zu reden!« sagte Duskow laut. »Wir haben hier unsere eigene Front – alles andere ist unwichtig.«
    Bist du unwichtig, herrliche Anna? dachte er gleichzeitig. Welch ein Leben wäre das mit dir in einer friedlichen Welt! Laß mich phantasieren … Auf unserem Gut Neu-Nomme würden wir wohnen, und wenn du unbedingt Ärztin bleiben willst, könntest du im Krankenhaus arbeiten, könntest operieren und deine Station haben, und ich würde dich jeden Abend abholen und mit dir durch das herrliche Land fahren, durch die gelben Weizenfelder, die Birkenwälder, die weiten Weiden mit den verträumten Tümpeln. Estland würde dir gefallen, Anna Iwanowna, und Neu-Nomme ist ein Fleckchen Erde, wo man begreift, daß jemand, der dort geboren wurde, auf die Knie fällt und eine Ackerkrume küßt wie seine Mutter. Welch ein Leben wäre das! Angst habe ich nur vor einem Augenblick: wenn ich dir sage, daß ich ein deutscher Offizier bin …
    »Ich brauche eine Waffe und Handgranaten!« hörte er Iwanow laut sagen. Duskow schrak hoch. Der Traum von Neu-Nomme blieb als bleierner Druck in seinem Kopf liegen. Tallin … Estland … Die sowjetischen Armeen stehen auch am Peipus-See bereit, in breiter Front die deutsche Heeresgruppe Nord aufzureißen, einzukesseln oder ins Meer zu treiben. Sechzehn russische Armeen warten allein in dem kleinen Raum von Litauen bis Estland, von Narwa bis südlich Dünaburg, auf den Befehl: Vernichtet alles, was deutsch ist, was deutsch klingt, was nach deutsch riecht!
    Es wird nie wieder ein Neu-Nomme geben …
    »Wenn ich mir vorstelle«, sprach Iwanow weiter, »daß ich morgen Stalin ins Auge blicke – und habe nichts als meine nackten Hände!«
    Milda Ifanowna, die bisher nur serviert und kein Wort mehr gesprochen hatte, ging zu einem Schrank an der Schmalwand des Zimmers und öffnete ihn. Ein paar Kleider hingen dort, zwei Mäntel, ein Pelz, eine Fufaika – das ist eins jener Strickhemden, in denen ein Russe den harten Winter gut übersteht –, und als sie das Ganze zur Seite schob, blickte man gegen die Schrankrückwand. Dort lehnten drei sowjetische Maschinenpistolen, zwei Schnellfeuergewehre, zwei Scharfschützengewehre mit montiertem Zielfernrohr, und daneben standen drei Kästen mit Munition. In einfachen Tüten lagen Pistolen, Handgranaten und Sprengladungen. Duskow atmete tief durch die Nase. »Sind Sie verrückt, Milda Ifanowna?« sagte Sepkin heiser. »Das stellen Sie so an die Schrankwand? In einen normalen Kleiderschrank?«
    »Sagen Sie mir ein besseres Versteck als einen harmlosen Schrank, Piotr Mironowitsch.«
    »Wenn jemand die Tür geöffnet hätte –«
    »Wer sollte die Tür öffnen?«
    »Iwan Michailowitsch.«
    »Ihm war meine Haut lieber als zehn Kleider! Ihn interessierte nicht, was ich anzog, sondern was ich auszog.«
    »Gott hilf mir – wer ist Iwan Michailowitsch?« rief Petrowskij.
    »Ein sowjetischer Major«, sagte Sepkin ruhig. »Aus dem Führungsstab um Stalin. Ich habe ihn vorgestern hier im Zimmer, dort, wo jetzt Plejin

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