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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tichonowitsch wie ein betäubter Löwe, rechts röchelte Antonina Nikitajewna und kaute im Schlaf. Ich habe Wanda angeschaut, bestimmt eine Stunde lang. Eine helle Nacht ist's ja – und ihr Haar schimmerte rötlich und lag um ihre Schulter bis zu ihren Brüsten.« Iwanow schluckte. »Das war ein Abschied –«, sagte er rauh. »Verdammt, warum soll man nicht darüber sprechen.« Er sah die anderen an, die vor sich auf die Dielen starrten. »Habt ihr vielleicht ein Freudentänzchen gemacht?«
    »Wir sollten noch einmal mit den Präzisionsgewehren üben!« sagte Boranow tonlos. Auch er hatte Abschied genommen. Von Lyra Pawlowna. Wieder waren sie in ein Kino gegangen, wie auch Iwanow, außer der Baustelle, nur mit Wanda Semjonowna allein sein konnte, wenn sie spazierengingen oder in der Dunkelheit eines Filmtheaters untertauchten. Sie hatten einen ziemlich dummen und propagandistischen Film über das ausschweifende Leben eines Bojaren gesehen, der damit endete, daß der Bojar, ein wahrer Widerling, bei einer opulenten Abendmahlzeit von seinem Diener erstochen wurde, dessen Tochter er geschwängert hatte.
    Sie saßen in der letzten hinteren Reihe, wo keiner sie beobachten konnte, küßten und streichelten sich, seufzten und zitterten vor Wonne, und fast rannten sie dann zum Straßenbahndepot, dessen Schlüssel Boranow besaß, warfen sich in einem Waggon auf die hölzerne Bank und liebten sich, als sei Liebe mehr Verzweiflung als Seligkeit.
    Die Nacht zum 28., das wußten sie alle, war aus ihrem Leben bereits ausgegliedert. In ihr gab es nichts Privates mehr, nichts Erfühltes, nichts Gewünschtes. Nur das nackte Kalkül sollte sie von den Poren bis zu den Nerven beherrschen: Stalins Tod! In dieser letzten Nacht sollten sie innerlich vereisen, sie sollten nur noch zielendes Auge werden, abdrückender Finger, leidenschaftslose Reaktion.
    Milda Ifanowna holte die Waffe, die Duskow anforderte, aus ihrem Kleiderschrank: drei Spezialschnellfeuergewehre mit Zielfernrohren, zusammengelegt und in wenigen Augenblicken montierbar. Achtzehn Handgranaten mit verminderter Verzögerung, so daß es unmöglich war, sie mit einer schnellen Bewegung zurückzuwerfen. Sechs Pistolen mit verlängertem Magazin. Drei kleine, zusammenklappbare Maschinenpistolen. Für jeden vierzig Schuß Spezialmunition: Stahlmantel mit Explosionsaufschlagzünder, ein Geschoß, das faustgroße Löcher riß, wenn es in den Körper drang. Die Konstrukteure hatten es mit Schießversuchen an Tieren demonstriert: Hundeköpfe zerplatzten wie rohe Eier, Rinderbrüste zerbarsten wie ein bizarrer Feuerwerkskörper.
    Am eindrucksvollsten war der Versuch mit einem Elefanten: Sein Kopf glich nach dem Treffer einem Krater, aus dem die rote Lava quoll.
    Die Fachleute waren beeindruckt. So etwas überlebte auch Stalin nicht. Wenn man ihn traf …
    Duskow, Boranow und Sepkin übten noch einmal das sekundenschnelle Zusammensetzen ihrer Gewehre. Petrowskij spielte Stalin. Er kam unverhofft aus dem Nebenzimmer, stieß die Tür auf – und ebenso schnell zuckten die Waffen hoch, rissen Plejin und Iwanow an den Zündschnüren ihrer Handgranaten und warfen sie. Im Augenblick benutzten sie dazu Tennisbälle.
    »Verzögerung zwei Sekunden!« sagte Milda. Sie drückte auf eine Stoppuhr und las sie ab. »Zuviel! Länger als eine Sekunde darf es nicht sein …«
    Sie übten bis kurz vor 2 Uhr mittags. Die Sekunde erreichten sie nicht. Es blieb bei einer Sekunde und zweiundvierzig Hundertstel.
    »Das kann genügen!« sagte Milda Ifanowna. »Kalkulieren wir den Überraschungsmoment ein.« Sie sprach kühl, mit gewohnter Stimme, manchmal sogar freundlich, als sei man zum Plaudern zusammengekommen. Sepkin bewunderte sie – er hatte es trotz Jelena Lukinischna nicht aufgegeben. Jelena liebte er, aber Milda war wie ein herrliches, gefährliches, unberechenbares Tier, das man einfangen, überwältigen und zähmen mußte. Ein fremder, zerstörerischer Reiz … »Die Parade wird um elf Uhr sein, das ist bekanntgegeben worden.«
    »Der Rote Platz wird zur Hälfte gesperrt werden während Stalins Abfahrt«, sagte Plejin. »Ljudmila hat es mir erzählt. Er wird aus dem Spasski-Tor herauskommen, nach rechts, zur Moskwa, abbiegen, an der Basilius-Kathedrale vorbeifahren und dann am Moskwa-Ufer entlang, Richtung Gorki-Park.«
    »Hervorragend, Kolka!« Duskow beugte sich über einen Plan Moskaus, der über dem Tisch ausgebreitet lag. Die anderen standen um ihn herum, während Milda Ifanowna mit

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