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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Deutschen unsere vier Väterchen vorführen? Ihre Verrücktheit kennt keine Grenzen!«
    »Wir müssen es! Nur so erkennen sie die Nutzlosigkeit ihres Planes, und nur so ist der Genosse Stalin von ihnen befreit. Gibt es eine bessere Gelegenheit als jetzt? Siebenundfünfzigtausend deutsche Gefangene sind durch Moskau marschiert. Welch eine Demonstration des Sieges, welch ein Schlag ins Gesicht der Deutschen! Moskau wollten sie erobern, vorbeimarschieren am Kreml, über die Boulevards paradieren … Sie haben es getan: mit einer ganzen Armee armseliger, verhungerter, aller Illusionen beraubter, von ihrem Führer betrogener, verspotteter und gehaßter Kriegsgefangener. Der Himmel segne diesen Triumph! Und jetzt, Genosse General, wäre das Volk bereit, vor Stalin auf die Knie zu fallen wie früher in den Kirchen vor Gott – wenn er sich den Massen zeigte. Nicht auf der Kremlmauer, sondern im Stadion!«
    »Unmöglich! Smolka, baden Sie den Kopf im kalten Wasser. Sie werden sehen, wie es dampft! Ihre neue Idee kann zur Erde gelassen werden. Beweinen Sie sie nicht – es war eine Mißgeburt.«
    »Vier Stalins, Genosse General. Können Sie sich einen Attentäter vorstellen, der bei diesem Anblick nicht seine Waffen wegwirft und sich weinend abwendet? Nur einmal sollte sich Stalin so zeigen. Ich flehe Sie an, als Ihr Freund, Jefim Grigorjewitsch: machen Sie es möglich! Es wäre Stalins zweiter Triumph, ein stiller, geheimnisvoller, der aber in seiner Auswirkung die Geschichte beherrschen wird. Warum lassen Sie sich nicht überzeugen?«
    »Haben Sie Angst vor den deutschen Offizieren?«
    »Ich habe Angst um Stalin. Das Attentat könnte ja zufällig den Richtigen treffen.«
    Radowskij schien nachzudenken. Seine Vorstellungskraft versagte bei der Überlegung, wie ein Anschlag überhaupt auszuführen wäre. Der Schutzwall um Stalin war undurchstoßbar. Für Smolka, den Abwehrfachmann, gab es jedoch nichts Unmögliches.
    »Ich werde mit Shukow darüber sprechen«, sagte Radowskij endlich. »Und mit Chruschtschow. Träumen Sie nicht von Ihrer Idee, Igor Wladimirowitsch. Schade um die verschenkte Energie.«
    Smolka legte auf, setzte sich in seinen Sessel und drehte das Radio an.
    Der Marsch der deutschen Kriegsgefangenen war noch immer das große, alles beherrschende Thema. Gefangene deutsche Generäle wurden interviewt. Einfache Soldaten stammelten ihre Qual heraus.
    Ein Hauptmann sagte: »Es ist ein verfluchter Krieg. Da muß man bis nach Moskau kommen, um zu begreifen, daß man uns alle belogen hat! Ich wollte das nicht glauben, ich habe, wie Millionen von uns, dem Führer vertraut. Jetzt sitzen wir in der Scheiße. Ob ich noch einen Wunsch habe? Ich bete zu Gott, daß ich meine Frau und meine Eltern wiedersehen kann. Sie wohnen in Wuppertal.« Und dann ganz leise, wie in Tränen aufgeweicht: »Hoffentlich gibt es Wuppertal noch, wenn ich nach Hause komme …«
    Oberst Smolka lehnte sich zurück und blickte dem Qualm seiner Orientzigarette nach. Ein großer Tag … Es war erlaubt, darauf einen roten Krimwein zu trinken, und das tat er jetzt.
    Von vierzig deutschen Divisionen im Mittelabschnitt der Ostfront waren achtundzwanzig eingekesselt und in sowjetische Hand gefallen.
    Auch Duskow hörte die Berichte im Radio. Anna Iwanowna hatte in der Kantine des Botkin-Krankenhauses ihre Sonderzulage als Chirurgin bekommen: zwei Pfund Mehl, drei Eier, ein Klümpchen Knetbutter – mit Margarine versetzt – und eine Büchse mit Gulasch. Jetzt kochte sie daraus ein fürstliches Essen: Gulasch, in Blinis eingewickelt, im Ofen gebacken.
    Wenn ich nach Hause komme … Duskow stand auf, ging in die Küche und riß Anna Iwanowna an sich.
    »Was ist?« rief sie erschrocken. »Leonid, du erdrückst mich!« Sie ließ alles, was sie in den Händen hatte, und das waren ein Topfdeckel und ein Messer, fallen und drehte sich in Duskows Armen. »Was hast du, mein Liebster? O mein Herz … Erwürge mich, wenn das Liebe ist … Mein einziger Schatz …« Duskow seufzte auf. Als fliege die Lunge mit hinaus, so klang es. Er drückte sein Gesicht in Annas Haare und war froh, daß sie nicht sah, wie sein Mund weinte.
    Wuppertal wird es noch geben, Kamerad … Und dann war da das Wissen, das ihn innerlich zerfraß: Neu-Nomme gibt es schon nicht mehr …
    »Die Blinis werden schwarz«, sagte Anna Iwanowna.
    Er nickte stumm, ließ sie los, ging leicht taumelnd ins Schlafzimmer, warf sich auf das Bett und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

6
    Am

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