Sie waren zehn
immerhin war der Vater einunddreißig und die Mutter achtundzwanzig Jahre alt –, aber bisher hatte von Labitz alle Energie darauf verwandt, als Offizier Karriere zu machen und somit beruflich die Tradition derer von Labitz fortzusetzen. In der langen Geschichte der Labitz war noch kein Familienmitglied aus dem bunten Rock gestiegen, ohne die Generalsepauletten als Andenken an die Wand zu hängen. Auch Bodo von Labitz war auf dem besten Weg, der Familie Ehre zu machen: Die kritische ›Majorsecke‹ hatte er mit Bravour geschafft und bereits einen Lehrgang als Generalstabsoffizier hinter sich. Das Ritterkreuz hatte er schon 1943 bei den Rückzugskämpfen vor Odessa bekommen. Kein Grund also zur Befürchtung, Bodo von Labitz könne aus der Art schlagen. Die Krönung seiner bisherigen Laufbahn war nun sein Sohn. William Heiko. Ein Urlaubserfolg – wie man so sagt. Eigentlich nicht geplant, der Karrieretreppe wegen, aber Enrica, geborene Gräfin von Saalsfels , hatte beim letzten Urlaub einen solchen Liebeshunger gezeigt, eine so völlige Hingabe und geradezu sportliche Ausdauer, daß Bodos Planungen in ihren heißen Umarmungen zerschmolzen und ein kalkulierter Interruptus nicht zustande kam. Die später folgende Meldung: »Liebling, ich bin schwanger«, löste philosophisches Nachdenken aus und einen Brief, der begann:
»Mein Liebes, Süßes, Immergegenwärtiges !
Ein Kind werden wir haben. Ein echtes Kind der Liebe. Möge Gott, der Herr, seine Hand über es halten, auf daß es schönere Jahre erlebe als wir. Wenn wir den Krieg gewinnen, wird es nie wieder Kriege geben. Die Ordnung der Welt wird in unseren Händen liegen. Und die Ordnung wird heißen. Frieden, Glück und Wohlstand allen Völkern! Bete zu Gott, daß unser erstes Kind ein Junge wird. Deutschland braucht starke Generationen …«
So ging es drei Seiten lang weiter.
Man darf es Bodo von Labitz nicht übelnehmen. Er war in dieser Tradition erzogen, er kannte nur Onkel, die Generäle waren; wohin er kam im weitverzweigten Labitz-Clan, mußte er strammstehen vor goldenen Litzen und roten Kragenspiegeln. Die Familiengeschichte begann nachweisbar bei Kaiser Friedrich II. dem Staufer. Wer so viel Historie auf dem Buckel trägt, kann gar nicht anders als Gott bitten, ihm einen starken Sohn zu schenken. Für Deutschlands Gloria.
Die Feier in der Scheune war grandios, wenn man als Maßstab die Trunkenheit der Gäste setzt. Alle Offiziere der vier Bataillone des Regiments waren eingeladen. Am Abend fuhr, als besondere Überraschung, der Divisionskommandeur im Horch-Wagen vor. Generalmajor Labbroth brachte Blumen mit, eine aus Birkenrinde geschnitzte russische Bauernkate – als Geschenk für den Jungen, damit er sich an Vaters große Zeit erinnern konnte – und sechs Flaschen französischen Champagner! Über den langen Weg von Epernay bis nach Tiraspol am Dnjestr schwieg sich General Labbroth aus. Der Champagner war da, der Stabsintendant hatte davon vierzehn Kisten im Zentrallager gestapelt und führte sie in keiner Truppenverpflegungsliste. Was soll man auch mit vierzehn Kisten Champagner für eine ganze Armee machen? Es war eine der vielen kleinen Absonderlichkeiten in diesem Krieg, vor denen später einmal die Kriegshistoriker ratlos stehen würden: Es gab keine Munition, das Benzin für die deutschen Tigerpanzer wurde literweise abgewogen, zur Verpflegung kamen getrocknete Kartoffelscheiben als neueste Erfindung nach vorn an die Front, die Marmelade bestand aus allem möglichen, nur nicht mehr aus Früchten, und die Kunsthonigblöcke konnte man mit dem Meißel hacken. Die Bäckereikompanien schrien nach Mehl und Hefe. Die Werkstattabteilungen behalfen sich mit zerschlissenen Werkzeugen. Aber: In den Magazinen lagerten Kisten mit Champagner, sterile Pakete voller Präservative – und stapelweise Kartons mit Damenbinden. Und verantwortlich war keiner!
Die Offiziere der vier Bataillone waren von General Labbroths Erscheinen nicht sonderlich erbaut. Man mußte mäßiger saufen, durfte keine Rundgesänge grölen und vor allem nicht ein paar Weiber durch die Hintertüren einschleusen. Tiraspol war eine kleine Stadt, aber die Frauen hier in der Nähe der rumänischen Grenze und im Windhauch des Schwarzen Meeres waren von klassischer Schönheit: schwarzhaarig, glutäugig, schlank, biegsam, spitzbrüstig, und nach Einbruch der Dunkelheit läufig wie die Katzen.
Krieg?
Die Front schwieg seit April. Kleine Plänkeleien, na ja. Tagesverluste ein paar Mann,
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