Sie waren zehn
bestimmter Abschnitte, Errichten von Panzersperren.
»Die kommen nie rüber!« sagte der Kompaniechef, Oberleutnant Lippe. »Die wären ja verrückt! Diese Küste ist uneinnehmbar! Die Brüder knallen wir ab, während sie noch auf dem Meer schaukeln! Können Sie sich das vorstellen, Dallburg? Da drüben kommen sie übers Wasser angepinkelt, genau vor unseren Geschützen! Was bleibt da von denen übrig? Die kann man später mit 'nem Mikroskop suchen! Außerdem haben wir einen Rommel. Dallburg, Ihre Frontbewährung wird anders aussehen!«
Was Oberleutnant Lippe damit meinte, lebte er fleißig vor: Er lebte bei einer jungen, vollbusigen französischen Witwe in einem schönen Haus am Strand von Grandchamps-les-bains, setzte, trotz emsiger Liebesarbeit, dank viel Wein und gutem Essen Fett an, ging oft in Zivil spazieren, mit Baskenmütze und im Mundwinkel hängender Zigarette, offenem Hemd und ausgetretenen Leinenschuhen, so, als sei er im frischen Seewind der Normandie aufgewachsen. Die Sorgen seiner Generäle kannte er nicht. Er wußte nicht, daß drüben in England eine US-Armee unter General Bradley und eine britische Armee unter General Dempsey aufmarschiert waren. Er ahnte nicht, daß General Montgomery, Rommels alter Widersacher in Afrika, die Landetruppen übernommen hatte, und der amerikanische General Eisenhower als Oberbefehlshaber die ganze Aktion, die man ›Overland‹ getauft hatte, leitete. Man wartete nur auf gutes Wetter. Viertausend Transportschiffe lagen bereit, sechshundert Kriegsschiffe aller Größen sollten der Landungsflotte Feuerschutz geben, zweitausendfünfhundert schwere Bomber und siebentausend Jagdbomber standen startbereit. An Englands Südküste lagen einhundertsechsundsiebzigtausend Mann mit einer ungeheuren Menge von Material und starrten in den Himmel. Wann scheint die Sonne? Wann läßt der starke Wind nach? Wann können wir über das Meer hinüber nach Frankreich? Wie in einer riesigen Zange werden wir Deutschland zerquetschen: im Westen die USA und England, im Osten die Sowjets, im Süden, in Italien, Amerikaner, Engländer, Neuseeländer, Kanadier, in Südfrankreich die Landetruppen der Franzosen, Divisionen der Kolonialtruppen unter General Lattre.
Für Deutschland würde es kein Überleben mehr geben nach diesem Sommer 1944.
Aber wer sollte das dem kleinen Fähnrich Alexander Dallburg erklären? Sein Kompaniechef? Der lag mit Adrienne, ›seiner‹ vollbusigen Witwe, bei offenem Fenster zur Terrasse mit Meeresblick und exerzierte Nahkampf, daß die Bettpfosten ächzten.
Die ganze Kompanie war mehr oder weniger damit beschäftigt, das allzu gesunde Leben in der Normandie zu verkraften, und Hauptfeldwebel Felix Bülles, als Kompanie-Mutter sich auch für die Betreuung des ›Benjamin‹ zuständig fühlend, sagte nach vier Tagen Anwesenheit:
»Jungs, da muß was passieren! Unser Benjamin hat Angst vor Weibern! Nein, so was! Hat bestimmt noch kein Zentnerweib gestemmt! Ist noch unschuldig, das Kerlchen! Da hab' ich eine Idee: Wir legen ihn auf Gabrielle! Die macht einen Mann aus ihm, der freihändig Türen aufstößt.«
Gabrielle. Der Star vom ›Bistro St. Jacques‹. Klein, zierlich, puppenhaft, mit blanken Mäuseaugen, schmalen Beinchen und einem beweglichen Hintern. Sie hatte etwas rührend Kindhaftes an sich, eine Ausstrahlung heiliger Unschuld – und das war das Raffinierte an ihr. Wer einmal mit Gabrielle in ihrem kleinen Dachzimmerchen gewesen war, mußte sich am nächsten Morgen wegen Totalerschlaffung krank melden. Gabrielle dagegen zwitscherte schon wieder fröhlich im ›Bistro St. Jaques‹ herum.
Alexander Dallburg, von seinem ›Spieß‹ Felix Bülles in das Bistro geschleust, blickte Gabrielle verträumt an. Ebenso verträumt trafen ihn die Augen von Gabrielle.
»Bonjour, mademoiselle«, sagte Dallburg. Sein Französisch war perfekt. Im Baltikum gab es zwei Sprachen, die man in den angesehenen Familien beherrschen mußte: Russisch und Französisch. »Sie sind schön …«
Und Gabrielle antwortete: »Merci, monsieur. Sie sind so nett. Anders als die andern. Sie wollen nicht gleich nach fünf Minuten …«
Von dieser Stunde an war die Kompanie bei Gabrielle trockengelegt, der ›Benjamin‹ wurde bewundert und Hauptfeldwebel Bülles als Rindvieh beschimpft.
Drei Tage später zog Gabrielle zu Dallburg in die kleine Strandwohnung. Ihre Liebe war ehrlich und überstieg alles bisher Erlebte. Was vorher war, war ausgelöscht, als wär's auf eine Schultafel
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