Sie waren zehn
bedanken?«
»Schon gut.« Keitel winkte ab. Was ahnte Renneberg von der Mühsal des täglichen Umgangs mit dem Führer! »Wie geht es nun weiter?«
»Das ganze Unternehmen wird vergessen, wie es der Führer befohlen hat. Er hat uns alle Vollmachten gegeben. Wir können tun, was wir für erforderlich halten. Niemand hat mehr etwas mit uns zu schaffen. Wir werden handeln, sobald es möglich ist.« Renneberg sah verstohlen auf seine Uhr. »Wann kann ich den Blankoscheck des Führers schriftlich haben, Herr Generalfeldmarschall?«
»In einer Stunde holen Sie ihn bei mir ab.« Keitel blickte auf die Absperrung des inneren Bezirkes. Ein graugestrichener Wagen bog auf die Zufahrtstraße, nachdem er die Sperre passiert hatte. Ein rundschädeliger Mann saß im Fond und blätterte in Papieren. Bormann.
Renneberg nickte dem Wagen zu. Keitel folgte seinem Blick. »Wird er eingeweiht?«
»Wenn der Führer es tut … Von mir aus nicht.«
»Himmler?«
»Auf gar keinen Fall!« Keitel gab Renneberg die Hand. »Ich glaube, der Führer wird zu keinem darüber sprechen. Er nimmt Ihren Plan nicht ernst. Viel Glück, Renneberg.«
»Verbindlichen Dank, Herr Generalfeldmarschall.«
Keitel zögerte, als wolle er noch etwas sagen, wandte sich dann ab und ging zur Lagebaracke zurück. Bormann stieg gerade aus. Er sah Keitel, klemmte die Papiere unter die Achsel und ging ihm entgegen. Oberst von Renneberg wandte sich ab und verließ nach neuerlicher Kontrolle den inneren Sperrbezirk der ›Wolfsschanze‹.
In der Gästebaracke erwartete ihn ein alter Freund aus den Tagen der Kriegsschule, der jetzt als Oberstleutnant und stellvertretender Chef der Nachrichtenabteilung im Führerhauptquartier eine ruhige Kugel schob und mittlerweile selber kugelrund geworden war.
»Habe erfahren, daß du hier bist!« rief er und umarmte Renneberg. »Hier bleibt nichts verborgen, Junge! Wolfsschanze ist für Kenner wie ein Spitzenhemd – überall durchsichtig! – Du warst beim Führer?«
»Ja«, antwortete Renneberg wortkarg. »Vortrag über Ersatzheer – Stärke – Erwartung.«
»Mies, was?«
»Alles sehr, sehr jung … oder zu alt. Was dazwischen liegt, ist schon längst in der Uniform. Und du?«
»Ich habe hier eine sehr undankbare Aufgabe. Ich muß dem Führer die Berichte zusammenstellen, die wir dauernd von allen Fronten bekommen. In Frankreich sieht es im Augenblick nach dampfender Scheiße aus.«
»Ach«, sagte Renneberg scheinheilig. »Wieso?«
»Hier.« Der Oberstleutnant zog ein Blatt aus der Tasche. »Wurde gerade durchgegeben. Wird dem Führer in diesem Augenblick serviert. Lies!«
Lagebericht OB West über die besetzten Westgebiete vom 5.6 . 1944: Starke Zunahme der Aktivität der Widerstandsbewegung in Südfrankreich, besonders in den Räumen südlich Clermont-Ferrand und um Limoges. Anscheinend einheitliches Vorgehen der Widerstandsgruppen im Kampf gegen Deutschland unter Zurückstellung innenpolitischer Gegensätze. Meldung über umfangreiche Aushebungen zur Armée secrète , teils durch Drohung und Zwang, teils durch Werbung gegen Arbeitseinsatz in Deutschland. Zusammenziehen von Kräftegruppen bei Tulle (70 km von Limoges) und in den Bergen des Zentralmassivs bei St. Flour (80 km südl. Clermont - Ferrand ). Starke terroristische Aktivität im Dept . Corrèze . Laufende Überfälle auf Eisenbahnzüge, ungesicherte Ortschaften, franz. Verwaltungsdienststellen, Plünderung franz. Arbeitsdienstlager, Diebstähle von Kfz und Treibstoff. Befreiung eines Gefangenentransportes aus einem Eisenbahnzug des öffentl . Verkehrs nach Feuergefecht. In einer Kleinstadt bei Limoges 6 franz. Bürger, darunter der Notar und 2 Miliz-Angehörige, bei Tag aus ihren Wohnungen geholt und auf dem Marktplatz erschossen. In Umgebung Clermont-Fer rand sollen sich erstmals Angehörige der Armée secrète in Khaki-Uniform mit blauweißroter Kokarde gezeigt haben. Starker Gegenschlag mit ausreichenden Kräften und Luftw .-Unterstützung in Vorbereitung …
Oberst von Renneberg gab das Papier an seinen Kriegsschulfreund zurück. Der Oberstleutnant zerknüllte es und steckte es in seine Tasche.
»Nun, Abwehrspezialist?!« fragte er. »Was liest du daraus?«
»Die Invasion steht unmittelbar bevor. Wenn sich die Widerstandskämpfer bereits offen in der Uniform der Armée secrète zeigen, bedeutet das: Wir haben nichts mehr zu verbergen. Morgen oder übermorgen sind wir die Herren in Frankreich …« Renneberg winkte ab. »Das wissen wir schon lange.
Weitere Kostenlose Bücher