Sie waren zehn
blickte auf seine Uhr. »Morgen um die gleiche Zeit.«
Die Kabakowa nickte, legte den Zeigestock weg, lächelte die zehn verhalten an und verließ den Schulungsraum. Ihre Hüften wiegten sich etwas, der Rock umspannte beim Gehen ein atemberaubendes Hinterteil. Mit einem Ruck warf sie die schwarzen Haare in den Nacken und zog hinter sich die Tür zu. Renneberg warf einen Rundblick über seine Schützlinge. »Meine Herren«, sagte er ernst, und dieses Mal auf deutsch. »Sie sind alle junge Männer; ich habe Verständnis für Sie. Sie kommen von den Fronten und haben viel entbehrt. Aber das berechtigt Sie als Offiziere nicht zu einem Benehmen, das dem Ernst unserer Aufgabe entgegensteht. Entschuldigen Sie – aber Sie haben sich verhalten wie pubertierende Gymnasiasten!«
Die zehn sahen sich an. Luka Iwanowitsch Petrowskij – das Enfant terrible Solbreit – spreizte die Beine und schlug sich auf die Schenkel.
»Was ist das, Genossen?« fragte er laut und nickte Renneberg zu. »Ja, sagt mir, liebe Brüder, was höre ich da? Deutsche Laute? Wo sind wir denn? Was will er von uns? Hat einer von uns ihn verstanden? Redet daher in einer knackenden, knirschenden Sprache und glaubt, wir könnten ihm folgen?! Ein merkwürdiges Benehmen, das muß man feststellen, Genossen.«
»Ich kann es auch auf russisch!« sagte von Renneberg, etwas versöhnlicher. Und jetzt sprach er russisch: »Milda ist für Sie geschlechtslos!«
»Das zu akzeptieren bedeutet das Absinken in völlige Entmenschlichung«, entgegnete Luka Iwanowitsch.
»Oder man müßte die Methoden altrussischer Zaren anwenden.« Sergeij Andrejewitsch Tarski – früher Leutnant Semper – legte beide Hände über seine Augen. »Wer nicht sehen sollte, wurde einfach geblendet – mit einer glühenden Säbelklinge.«
»Ich sehe, es hat keinen Sinn, mit Ihnen zu diskutieren!« Renneberg erhob sich hinter seinem Pult. »Um Ihnen nächtliche Spähtrupps und Stoßkommandos zu ersparen: Milda Ifanowna wohnt nicht in der Reitschule.«
»Und der Qualen waren Tausende, einige unerträglich … sagte einmal ein Märtyrer.« Alexander Nikolajewitsch Kraskin, der seinen Oberleutnant Adler abgelegt hatte, erhob sich von seinem Stuhl. »Gospodin Renneberg, sagten Sie, daß Milda in zwei Tagen schon abgesetzt wird?«
»Ja.«
»Es eilt also.«
»Die Lage an der Invasionsfront ist verzweifelt. Amerikaner und Engländer gewinnen viel Raum in der Tiefe. An der Ostfront ist verdächtiges Schweigen. Die Sowjets karren in aller Ruhe ihre Divisionen und ein ungeheures Material heran. Das bringt uns in Zeitnot. Stalins Tod muß erfolgen, wenn unsere Gegner trunken vor Siegeszuversicht sind. Um so größer wird der Schock sein!« Renneberg trat ans Fenster. Unten hörte man das Aufbrummen eines Motors. Anscheinend fuhr Milda Ifanowna jetzt zu ihrem Quartier. » Gospasha Kabakowa ist Moskauerin. Woher wir sie kennen, auf welchem Wege sie zu uns gekommen ist, das interessiert hier nicht. Auf dem gleichen Weg zurück, das geht nicht mehr – es würde zu lange dauern. Also setzen wir sie per Fallschirm ab.«
»Und wenn man sie entdeckt?«
»Krieg ist kein Murmelspiel!« sagte Renneberg hart.
»Warum tut sie das?«
Kyrill Semjonowitsch Boranow knöpfte seine sowjetische Offiziersbluse auf. Es war heiß im Zimmer. Ein märkischer Sommer, wie ihn Fontane beschrieben hat.
»Ihr Großvater starb nach der Revolution als Offizier der ›Weißen‹ unter den Kugeln eines roten Liquidationskommandos. Er war Oberst bei Admiral Koltschak. Mildas Vater bekam einen Genickschuß, als Stalins Säuberungswelle auf die Generalität übergriff und Marschall Tuchatschewski hingerichtet wurde. Er war Kapitän. Ihre Mutter wurde wahnsinnig und lebt noch heute in einer Moskauer Heilanstalt. – Ich glaube, das reicht aus, um ein Regime nicht zu lieben.« Der Oberst räusperte sich. »Sie liebt übrigens auch die Deutschen nicht! Ihr Engagement bei uns ist rein privater Natur. Sie ist besessen von dem Wunsch, sich an Stalin zu rächen. Die politischen Aspekte interessieren sie überhaupt nicht. Wenn Sie Stalin getötet haben, wird sich Milda bei Ihnen bedanken und Sie dann bespucken.«
»Da sehe ich einen Gefahrenpunkt!« sagte Pawel Fedorowitsch Sassonow nachdenklich. »Private Fanatiker sind immer ein Risiko …«
»Das wissen wir alle.« Renneberg steckte die Hände in die Taschen und suchte Zigaretten und Feuerzeug. »Aber man kommt als Besucher nur in die Hölle, wenn man dem Teufel über den Schwanz
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