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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Und so leben wir auch! Und wie Hunde, so bellen wir auch, wenn uns eine Milda über den Weg läuft. Wären wir sonst echt? So echt, wie man uns haben will?«
    Oberst von Renneberg hatte mit starrem Gesicht zugehört. Sein Gesicht war gerötet. Er zog die Unterlippe durch die Zähne und suchte wieder nach seinen Zigaretten. Als der kleine Plejin ihm eine Papyrossa anbot, schüttelte er stumm den Kopf.
    »Sind Sie fertig?« fragte er endlich. Nervös klappte er das gefundene Zigaretten-Etui auf und zu.
    »Ja!« sagte Duskow und trat in die Reihe der zehn zurück.
    »Sie haben recht!« Renneberg nickte und steckte sein Etui wieder ein. »Ich danke Ihnen, daß Sie mich auf einen Denk- und Verhaltensfehler hingewiesen haben. Ich brauche ja kein Russe zu sein.«
    Der Abend, vor allem das Abendessen, wurde zu einem Fest. Nicht der Speisefolge wegen, auch nicht wegen des Krimweines oder des mit Kerzen geschmückten Tisches.
    Milda Ifanowna Kabakowa aß mit ihnen.
    Die Kabakowa sah hinreißend aus.
    »Ich hoffe, ich sehe Sie alle in Moskau wieder«, sagte sie.
    Während sie sprach, veränderte sich ihr Gesicht ständig, unterstrichen Augen, Nasenflügel, Lippen jeden Satz und verliehen ihm eine eindringliche Deutlichkeit. Ab und zu fuhr sie mit der Hand durch ihre schwarzen Haare, oder wenn sie lachte, preßte sie die Hände flach gegen ihre Brüste, als müsse sie die schönen Formen festhalten, damit ihr Gelächter sie nicht aus der Bluse trieb. Sie lehnte sich nach hinten, warf den Kopf in den Nacken und hörte mit geschlossenen Augen zu, als der kleine Plejin mit seinem hellen Tenor das berühmte ›Abendglöckchen‹ sang und dabei ganz hoch ins Falsett stieg, als klängen tatsächlich silberne Glöckchen von fernen Zwiebeltürmen. Petrowskij erzählte Witze aus Sibirien – man sollte es nicht für möglich halten, aber auch in Sibirien werden Witze gemacht. Kommt da ein Mensch an einen zugefrorenen See und sieht einen anderen Menschen auf dem Eis sitzen. »Hei!« ruft der am Ufer. »Bist du festgefroren, Genosse?« – »Nein, Brüderchen!« schreit der andere zurück. »Ich sitze nur hier und brenne mit meinem Hintern ein Fischloch in das Eis!« Darüber kann man lachen oder nicht. In Sibirien jedenfalls lacht man über solche Witze.
    »Moskau!« sagte Kraskin. Er sah Milda Ifanowna plötzlich mit entsetzten Augen an. Die anderen schienen nicht begriffen zu haben, was sie vorhin gemeint hatte. »Wann springen Sie ab?«
    »Morgen nacht.«
    »Mein Gott!«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Um wieviel Uhr?« fragte Duskow.
    »Warum wollen Sie das wissen, Leonid Germanowitsch?«
    »Wir möchten alle an Sie denken, Milda Ifanowna. Und nicht nur denken. Wer mag, kann auch beten …«
    »Glauben Sie an einen Gott?«
    »Sie nicht?«
    »Nein!« Ihr Gesicht mit den ›asiatischen‹ Wangenknochen wurde härter, kantiger, dunkler. »Gott war nie bei uns. Nur die Bolschewisten.«
    »Ab und zu, draußen an der Front, wenn man vom Trommelfeuer zugedeckt wird, wenn die Stalinorgeln heulen, wenn man sieht, wie die Kameraden neben einem zerfetzt werden und nach ihrer Mutter schreien, dann kann man ganz klein werden und wie ein Kind wieder an den lieben Gott glauben …«
    »Sie glücklicher Leonid Germanowitsch.« Die Kabakowa blickte starr in das flackernde Licht der Kerze vor ihr. »Ich würde Gott in dieser Situation verfluchen. Er hat uns seine Kinder genannt und läßt uns dennoch hinschlachten. Welch ein Vater! Verstehen Sie das?«
    »Ja.« Kyrill Semjonowitsch Boranow setzte das Weinglas ab. Der Krimwein leuchtete wie Blut im Kerzenschein. »Wir alle haben Väter. Haben sie mit Klauen und Zähnen dagegen gekämpft, daß wir in den Krieg zogen?! Im Gegenteil: Sie waren stolz! Mein Junge in Uniform! Mein Sohn, der Herr Leutnant! Mein Bub mit dem EK I. Komm an meine Brust, mein Junge: Du hast jetzt das Deutsche Kreuz in Gold! Oder das Ritterkreuz!« Er stockte und sah etwas verwirrt um sich. »Verzeihung, Genossen. Ich war im falschen Land. Ich sprach eben von dem Hauptmann Asgard Kuehenberg. Ein Deutscher, der immer und überall, wo er auftauchte, nur vaterländischem 'Stolz begegnete. Aber ist's in Rußland anders, wie? Da glitzert die Verdienstmedaille an der Brust des Helden, da küßt einem der Genosse Kommissar die Wangen. Milda Ifanowna, Väter sind eine Spezies Menschen für sich, sobald ihre Söhne Uniform tragen! Warum sollte Gott anders sein?« Er räusperte sich und schenkte sich Wein nach. »Wann springen Sie

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