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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hörte die letzten Radionachrichten. Was das Oberkommando der Wehrmacht bekanntgab und was somit das deutsche Volk auch glaubte, glich wenig dem Bericht zur Lage, den Renneberg als Nachtisch besonderer Art servierte. Auch die Goebbelssche Propagandamaschine spulte nur Zuversicht ab. Danach schien die große Wende kurz bevorzustehen; die Invasion war der Todesstoß, den sich die Alliierten selbst gegeben hatten. Und die russischen Fronten waren so still, daß man sie nur mit einem Satz erwähnte. Das große Wunder, auf das die Deutschen hofften, schien unmittelbar vor der Tür der Weltgeschichte zu warten. Nur die Luftangriffe, jetzt Tag und Nacht systematisch die Städte zerstörend, trübten die Vision vom grandiosen Endsieg. Aber die Luftangriffe gehörten zum Alltag, und was sie bewirkten, wurde am Ende der Wehrmachtsberichte angedeutet mit dem lapidaren Schlußsatz: Die Bevölkerung hatte Verluste.
    Ein Satz, der zehntausendfaches Sterben und Grauen in sich schloß. Brennende Städte, Ruinenfelder, am Straßenrand gestapelte Leichen. Ein Leben, das sich in die Erde verkroch: in die Keller, unter die Ruinenberge, in aus Schutt zusammengebaute Wohnbunker.
    »Ich bin mit Ihnen zufrieden, meine Herren«, sagte von Renneberg und hob sein Glas mit dem russischen Kognak. »Nach den Berichten von ›Fremde Heere Ost‹ erwartet man die sowjetische Offensive im letzten Junidrittel. Das Kräfteverhältnis ist katastrophal. Drei sowjetische Heeresgruppen stehen einer deutschen gegenüber. Die Weißrussische Front unter Rokossowskij, die 2. Weißrussische Front unter Sacharow, die 3. Weißrussische Front unter Tschernjakowskij. Den Oberbefehl hat Marschall Shukow. Unsere Heeresgruppe Mitte unter Generalfeldmarschall Busch, vierzig deutschen Divisionen, von denen keine ihre Sollstärke besitzt, stehen einhundertzweiunddreißig russische Divisionen und einundsechzig Brigaden gegenüber. Darunter allein fünfundvierzig vollbesetzte Panzerbrigaden! Im Hinterland warten Reserven unbekannter Größe. Wir – das steht jetzt seit Tagen fest – haben keine Reserven. Der Mehrfrontenkrieg, die Rundumverteidigung Deutschlands, hat alle Kräfte, die noch zur Verfügung standen, gebunden. Außerdem: Der Gegner besitzt bis an den Rand gefüllte Munitions- und Benzinlager. Der Nachschub an Material rollt ungehindert. Unsere Luftwaffe hat die Kontrolle über alle Lufträume verloren.« Renneberg griff zum Kognak, als müsse er einen faden Geschmack neutralisieren. »Das ist die aktuelle Lage. Nach unserem Plan sollen Sie für Wildgänse zwischen dem 18. und 25. Juni abgesetzt werden.«
    Die zehn schwiegen. Hansekamm ging herum und füllte die Weingläser. Er nebelte sich mit dem Rauch einer Zigarre ein, vielleicht um die Traurigkeit seines Gesichtes zu verbergen.
    »Um 2 Uhr …«, sagte Sergeij Andrejewitsch Tarski plötzlich. Renneberg stellte sein Kognakglas zurück auf den Tisch. »Was ist um 2 Uhr?«
    »Da springt sie ab.«
    »Belasten Sie sich bitte nicht mit wehmütigen Gedanken. Milda Ifanowna trägt das geringste Risiko. Eine Landarbeiterin wird niemand festhalten und kontrollieren. Bei Ihnen ist das anders: Sie sind kräftige Männer, bei denen man sich fragen wird, warum sie während der entscheidenden Offensive nicht in der Roten Armee sind. Um Milda brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
    Renneberg schaltete auf Radio London. Flotte Tanzmusik kam aus dem Lautsprecher. Er drehte den Ton etwas zurück und schlug die Beine übereinander. »Im übrigen gibt es Ärger«, sagte er lässig.
    »Mit wem?« fragte Boranow.
    »Mit dem Führerhauptquartier. Himmler und Kaltenbrunner haben was gewittert, aber niemand kann ihnen etwas sagen. Wie schnüffelnde Hunde rennen sie herum. Keitel und Jodl schweigen – und Bormann zu fragen, das wäre für Himmler so, als wollte er sich selber ohrfeigen. Der Führer hat Wildgänse schon vergessen, weil wir in seinen Augen doch nur Idioten sind. Aber da liegt eine offizielle Anfrage des Reichsführers SS beim OKW vor: Uns ist zu Ohren gekommen, daß gewisse Planungen, die auch das SS-Reichssicherheitshauptamt interessieren könnten … usw. Das OKW stellt sich natürlich taub. Aber ich frage mich: Wo ist hier eine undichte Stelle? Durch welches Loch sickern die Gerüchte? Wie ist es überhaupt möglich, daß auch nur eine Andeutung zur SS dringen konnte? Das OKW hat danach alle Unterlagen vernichtet. Nur noch hier gibt es zwei Seiten über Wildgänse. Ich unterrichte Sie deshalb davon, damit

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