Sie waren zehn
Sie wissen, daß der geringste Versuch von Ihnen, eine Nachricht hinauszuschmuggeln, etwa an Ihre Verwandten, für Sie tödlich sein wird.« Renneberg faltete die Hände über dem angezogenen Knie. »Ich muß Sie auch darüber informieren, daß die Briefe an Ihre Verwandten, in denen mit größter Bestürzung und größter Trauer Ihr Vermißtsein bekanntgegeben wird, versandbereit auf einer Poststelle des OKW liegen. Sie gehen übermorgen hinaus.«
»Übermorgen schon …«, sagte der kleine Plejin leise. Er zerdrückte seine Zigarette.
»Dann sind wir also tot …« Duskow hob sein Glas und ließ es in der Luft kreisen. Ein böser, brutaler Humor überfiel ihn. Eine Schleuse zerbrach, unaufhaltsam stürzten die Wassermassen hervor. »Tot, Genossen! Welch ein Gefühl! Glotzt mich nicht an wie einen Ochsen im Gewitter! Genießt es, tot zu sein! Wer kann das schon erleben?!« Er lachte schrill, trank sein Glas leer und warf es mit Wucht an die Wand. »Genosse Oberst, was wird man schreiben? Zum Beispiel meinem Vater. Herrn Johannes Freiherr von Baldenow. ›Es fällt uns schwer, Ihnen die betrübliche Mitteilung zu machen, daß Ihr Sohn, Hauptmann Venno von Baldenow, bei den Kämpfen um (Ort ist einzusetzen) von sowjetischen Panzern abgeschnitten wurde. Er ist seitdem vermißt.‹ – Und vielleicht wird man in unserem ganz besonderen Fall sogar noch dazuschreiben: ›Nach Lage der Dinge müssen wir mit seinem Tode rechnen.‹ – Und dann eben das Übliche: ›Hauptmann Venno von Baldenow war einer der liebsten und tapfersten Kameraden in unserem Regiment, ein Vorbild für seine Soldaten, ein Mann, der für Führer und Vaterland immer in der ersten Reihe kämpfte und …‹«
»Halt die Schnauze!« sagte Boranow heiser. »Leonid Germanowitsch, wer ist dieser Freiherr von Baldenow? Woher kennst du ihn? Ist er so interessant, daß man in Rußland von ihm erzählen muß?«
Duskow fiel in sich zusammen, hing kraftlos in seinem Sessel. Sassonow umklammerte sein Weinglas mit beiden Händen und blickte Oberst von Renneberg an. Ein paarmal setzte er zum Sprechen an, verschluckte aber nur die Worte, erst beim dritten Anlauf gelang es ihm: »Als Toter interessiert mich eine Frage …«
»Bitte!« sagte Renneberg nonchalant. Duskows Ausbruch hatte ihn nicht getroffen. Er war sogar dankbar dafür. Das befreit, dachte er. Was hat sich in diesen Tagen alles angestaut!
»Ich habe eine junge Frau. Ich habe vor ein paar Tagen mein erstes Kind bekommen. Mein erstes … und mein letztes Kind. Wie – wie wird für sie gesorgt werden?«
»Ihre Witwe – ich muß es so aussprechen, wie es ist! – wird eine Ehrenpension bekommen. Die Berufsausbildung Ihres Sohnes ist garantiert, was immer er werden will.«
»Und wenn wir den Krieg verlieren?«
Zum erstenmal in diesem Kreis sprach es jemand klar und ohne Zögern aus. Renneberg hob beide Hände. Er griff nicht zur Maske, hielt keinen Vortrag über das Thema: Warum wir den Krieg nicht verlieren können. Die Gewißheit der deutschen Niederlage war nicht mehr zu vernebeln.
»Deutschland wird es immer geben«, sagte er. »Und wie dieses Deutschland dann auch aussehen mag: Es wird seine Verpflichtungen einhalten.«
»Ein kommunistisches Deutschland?«
»Das wird es nie geben!«
»Wer kann das garantieren?«
»Unsere Auffassung von einem lebenswerten Leben. Deutschland wird nie ein fruchtbarer Boden für einen importierten Leninismus sein, von ein paar Eiferern, Fanatikern oder politischen Clowns abgesehen. Moskau wird nie am Rhein liegen – weil es dann vor den Türen von Paris und London liegen würde.« Renneberg schwenkte den Kognak im bauchigen Glas. »Aber globale Politik ist nicht unser Thema, meine Herren.«
»Mich interessieren auch nur meine Frau und mein Kind«, sagte Sassonow leise. »Unser Gut liegt in Lettland. Wenn wir den Krieg verlieren, sind wir arm wie ein Clochard.«
»Wir haben es Ihnen von Anfang an gesagt: So phantastisch es auch klingen mag – es kann an Ihnen liegen, der Weltgeschichte eine andere Richtung zu geben. Ihr Einsatz kann die Welt verändern! Das ist ja das Abenteuerliche an der Menschheitsgeschichte: Epochen hängen ab von einzelnen Männern! Zeitalter werden von Persönlichkeiten geprägt. Mit Alexander starb auch das klassische Griechenland, mit Caesar ging die römische Republik zugrunde. Napoleon prägte das Gesicht Europas – bis heute! Die Galionsfigur eines neuen Zeitalters heißt heute ohne Zweifel nicht Adolf Hitler, sondern Josef
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