Sie waren zehn
Ulmen und breitflächigen Platanen, ein paar Bänken und einem Stalin-Denkmal aus bemaltem Gips. Es hatte sogar ein Krankenhaus, einen Parteipalast mit Säulen und ein kleines Hotel, dessen Pächter – das Hotel gehörte dem Staat – sich unentwegt wunderte, daß er bei den fast ständig leerstehenden Zimmern immer noch lebte. Das Restaurant war schon lange geschlossen, und wenn Emil Benjaminowitsch Priwalzew nicht wöchentlich einmal schwarz Schnaps im hintersten Keller gebrannt hätte, ich glaube, er wäre gezwungen gewesen, wie ein Panjepferd das Stroh von Hausdächern zu fressen.
Um so erstaunter, ja geradezu begeistert war Priwalzew, als ein Gast zu ihm ins Hotel kam und sagte: »Ich möchte ein Zimmer mieten!« So einfach sagte er das, als sei's das Selbstverständlichste von der Welt. Ein Zimmer will er haben. Ein richtiges Zimmer mit Bett und Schrank und frischer Wäsche. Genossen, haben wir denn schon Frieden?!
Priwalzew atmete verhaltener. Der Gast stank wie eine ganze Ziegenherde, aber man soll das ertragen können, wenn solch ein Mensch ein Zimmer mieten will. Er schlug ein dickes Gästebuch auf, dessen letzte Eintragung vier Monate alt war, blätterte darin herum, als suche er noch einen freien Platz und strahlte den wartenden Mann an.
»Zimmer 4!« sagte Emil Benjaminowitsch gütig. »Ein schönes Zimmer zum Bahnhof hinaus. Eben frei geworden! Ist das ein Verkehr, Genosse! Man müßte fünfzig Zimmer haben. Aber wieviel habe ich? Ganze neun! Es gibt Tage, da stehen die Leute an, bis drüben zum Bahnhof, schlafen in den Haustüren und warten geduldig, bis sie in einem meiner Betten nächtigen dürfen. Aber Sie haben Glück, ein Glück, sage ich! Und dann noch Zimmer 4! Das beste! Gestern wohnte noch ein General darin und war direkt traurig, als er weiterfahren mußte, Tränen standen ihm in den Augen, ich schwöre es. So schläft man alle hundert Jahre nur einmal, hat er zum Abschied gesagt. Ich habe mir das gut gemerkt … ich werde den Spruch als Schild malen und vor die Tür hängen. – Das Zimmer kostet vier Rubel …«
»Zwei!« sagte Kraskin milde. »Bin ich ein General?«
»Aber es ist Nummer 4.«
»Dann geben Sie mir Zimmer 9, Genosse.«
»Drei Rubel, weil es gerade frei ist«, sagte Priwalzew und rümpfte die Nase. Ab drei Rubel darf man Körpergeruch wahrnehmen. Kraskin bemerkte es und dehnte sich. Das vermehrte die Ausdünstung des nassen Stoffes und beleidigte jede Nase.
»Zwei! Ich bin ein Maschinist auf der Durchreise. Maschinist in einer Zuckerrübenfabrik.«
»Das ist es!« Priwalzew duckte sich und trat einen Schritt zurück an die Wand hinter der Theke. »Zuckerrüben! Verfaulte Zuckerrücken! So etwas zieht in die Haut, als hätte man täglich in Jauche gebadet. Was kann man dagegen tun, Genosse?«
»Sich daran gewöhnen.« Kraskin legte die offene Hand auf die Theke. »Zwei Rubel für Sie, Brüderchen, und für mich der Schlüssel! Wie steht's mit Essen?«
»Haben Sie Bezugskarten?« Priwalzew schob das Gästebuch hinüber. »Bitte einzutragen. Aber genau! Wir werden kontrolliert.«
Das war eine wichtige Mitteilung. Kraskin trug sich ein und leckte ein paarmal über die Spitze des Bleistiftes, als schreibe er dadurch besser. Priwalzew las die Eintragung und nickte zufrieden.
»Alexander Nikolajewitsch, wieviel Essenmarken haben Sie?«
»Genug. Aber sparen will ich sie. Moskau ist ein arges Pflaster. Und nach Moskau muß ich. Die haben dort eine Stelle für mich in einer Panzerplattenfabrik. Welch eine Beförderung. Von der Zuckerrübe zur Panzerplatte. Ich bin richtig stolz, Genosse! Was sagen Sie dazu?«
»Man wird Sie zuerst entgiften müssen.« Priwalzew händigte Kraskin den Schlüssel von Nummer 4 aus. An diesen Gestank würde er sich nie gewöhnen können. Wie es der Genosse Kraskin aushielt, war ihm rätselhaft. Aber es gibt eben Menschen, die haben eine abgestumpfte Nase. Die riechen nichts. Die beschnuppern ein Schwein in der Suhle und rufen freudestrahlend: »Welch ein süßes Ferkelchen!« Bedauernswerte Geschöpfe, solche Nasengelähmten. Von der Welt geht ihnen viel verloren. »Was soll ich Ihnen ohne Essenmarken geben?« fragte er.
»Ich lege noch einmal zwei Rubel drauf! Wenn Sie aus den Ecken etwas herausholen könnten … Wie heißen Sie eigentlich?«
»Emil Benjaminowitsch Priwalzew.«
»Emil Benjaminowitsch, Sie sind mir sympathisch. Sie sind mir wie ein Bruder. Schon als ich hereinkam und Sie hinter der Theke stehen sah, hat mir mein Herz
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