Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Man kann nicht nach Wodka stinken, wo es keinen Wodka gibt. Und so kann ich auch nicht nach Schokolade riechen, wenn es in Rußland keine Schokolade gibt. Noch nicht wieder, ihr Lieben. Wenn wir den Krieg gewonnen haben, überschwemmen wir euch mit der besten Schokolade der Welt. Ihr werdet euch vollfressen können, bis eure Därme platzen. Nach dem Krieg, Genossen, werden wir alles haben. Aber jetzt? Für eine Tafel Schokolade kann man zwei Patronen bekommen, und zwei Patronen, das können zwei tote Deutsche sein … Rechnet einmal mit, Brüder: Bei nur zehntausend Tafeln sind das zwanzigtausend Deutsche! Eine ganze Division! Ich frage euch: Wer will da noch eine Tafel Schokolade essen? So einfach wegessen? Man sabotiert den Sieg damit … überlegt das mal …
    Duskow strich mit beiden Händen durch das taufrische Gras und leckte die Feuchtigkeit ab. Genauso wusch er sich das Gesicht und den Nacken. Es erfrischte herrlich, er fühlte sich, trotz des bohrenden Hungers, fröhlich und stark.
    In einem der Bauernhäuser wurden jetzt die Läden aufgestoßen. Ein Kopf erschien mit zerwühlten, abstehenden Haaren, eben erst aus den Kissen gekrochen. Der Mensch hüstelte, reckte sich, kratzte die von einem grauen Hemd bedeckte Brust. Dann rief er dem Hund, der ohne Unterbrechung bellte, was zu. Ein alter Mann war's, der sich aus dem Fenster beugte und kräftig ausspuckte. Das schien ihn erleichtert zu haben, er gähnte noch einmal und trat ins Haus zurück. Duskow erhob sich. Ein Stück Brot und eine Schale Milch wird er haben, dachte er. Und man wird ihn auch überreden können, ein Ei herauszurücken. Mit einem frischen Ei im Bauch sieht die Welt geradezu liebenswürdig aus. Das muß man ihm sagen. Er hat bestimmt darüber noch nicht nachgedacht. Ißt seine Eierchen, der Genosse, ohne an ihren Wert für die Seele zu denken! Vielleicht fällt auch noch ein Stückchen Speck ab. In der Pfanne gebraten, zusammen mit dem Ei … Er schlug einen Bogen und kam dann über die Straße mit rüstigem Schritt an die Bauernkate heran. Ein Hundekonzert empfing ihn, denn jeder hatte hier einen Köter, nicht aus Mißtrauen gegenüber den Nachbarn, denn das waren über Generationen die gleichen, aber es treibt sich genug Gesindel herum im weiten Land, und außerdem gehört ein Hund zu einem Hauswesen wie eine gute Kohlsuppe oder ein saftiges Zwiebelgemüse.
    Duskow erreichte das erste Haus. Ein Großmütterchen, das Kopftuch ums eisgraue Haar geschlungen, in klobigen Schuhen mit Holzsohlen und einem langen, mit Flicken übersäten Rock, humpelte gerade zu einem kleinen Stall. In den Händen trug es eine Schüssel mit Maisbrei. Es hatte den Fremden weder gesehen noch gehört und stieß deshalb einen zittrigen Schrei aus, als Duskow freundlich sagte: »Welch ein Tag, Mütterchen! Welch eine Luft! Das macht die Seele weit …«
    Die Schüssel fiel aus ihren Händen, der Maisbrei spritzte nach allen Seiten und an ihrem Rock hinauf. Mit schreckensweiten Augen starrte sie Duskow an, ihr zahnlückiger Mund klaffte, die Hände falteten sich über der schlaffen Brust. Dann lehnte sie sich gegen einen morschen Leiterwagen und wackelte erschreckend mit dem Kopf, als stecke er auf einer Spirale.
    »Ich wollte ihn wegschütten …«, stammelte das Mütterchen. »Glauben Sie's mir, lieber Genosse. Ein schlechter Brei, gegoren, nicht mehr genießbar. Er stinkt! Da habe ich mir gedacht: Trag ihn weit weg, damit du es nicht mehr riechst … Genauso war es, Genosse.«
    »Der schöne Brei!« sagte Duskow. Er wußte nicht, was er mit diesem Satz anrichtete.
    Das Mütterchen verdrehte die Augen, als würge man es, seufzte tief und elend und wackelte wieder schaurig mit dem Kopf. »Auch gesäuerter Brei kann in der Not eine kräftige Nahrung sein …«
    »Einen alten Magen habe ich, einen uralten Magen«, jammerte die Alte. »Um die achtzig muß ich sein, genau weiß ich es nicht. Aber als der Zar erschossen wurde, der letzte, der Nikolaus, da war ich schon Großmutter. So alt bin ich! Da verträgt man keinen sauren Mais mehr. Glauben Sie mir, Genosse. Kommen Sie hinein … sehen Sie alles nach … steht Ihnen frei, alles zu kontrollieren … O heilige Jungfrau, immer war ich ein ehrlicher Mensch. Habe nie zu tun gehabt mit den Behörden …«
    Duskow stützte sich auf den Zaun aus Birkenkrüppeln und lächelte freundlich. Er begriff, daß man ihn für eine Art Beamten hielt, der plötzlich aufgetaucht war, um irgend etwas zu kontrollieren. »Haben Sie Milch,

Weitere Kostenlose Bücher