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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wenden, daß sie einem nützlich werden! Wie ein guter Schneider muß man sein. Der bekommt da von dem braven Genossen Ipatjew einen uralten, abgeschabten, mit nicht mehr wegreibbaren Flecken bekleckerten Anzug auf die Theke gelegt, und Ipatjew, dieser aufrechtgehende Hohlkopf, sagt gönnerhaft: »Sieh dir meinen schönen Anzug an! Na, ist das ein Stoff?! Noch zweihundert Jahre kann man ihn tragen – was sage ich, zweihundert, für die Ewigkeit ist er gemacht. Aber sag selbst: Ist es schon ein Leid, ein Leben lang immer die gleiche Frau neben sich im Bett schnaufen und prusten zu hören, dann sollte man wenigstens das, was man täglich am Leib trägt, erneuern! Ein billiges Vergnügen, Genosse! Sieh dir den Anzug an! Was man daraus machen kann, daß er wieder wie neu aussieht? Ein Künstler wie du … das muß dir doch eine Freude sein!« Und der Schneider betrachtet das Monstrum von Anzug, seufzt und verspricht, sein Bestes zu tun. Was macht er? Na? Er wendet den Anzug, kneift dort eine Naht, hier ein Fältchen, schneidet einen Schlitz in den Rock, und fertig ist das Meisterwerk. Darin zeigt sich die Kunst des Schneiders, durch Wenden Neues zu schaffen. Aus einem glatten Stück guten Stoffs kann jeder halbwegs gebildete Schneider einen Anzug zaubern, der dann mit Ah und Oh angezogen wird … aber aus Ipatjews Ruine noch ein bewohnbares Hüttchen zu sägen, das ist eine Leistung.
    Nicht anders erging es Kyrill Semjonowitsch Boranow, als er sprungbereit an der Tür des Langstreckenaufklärers stand, sich an der Eisenstange oberhalb des Ausstiegs festklammerte und auf das Kommando wartete. »Los! Ab!«
    Aber von der Kanzel kam kein Kommando. Statt dessen kroch der 2. Pilot, ein Oberfeldwebel, durch den niedrigen Rumpf zu Boranow und richtete sich neben ihm auf.
    »Scheiße!« sagte er.
    »Da sind wir uns einig.« Boranow hörte am Ton des Motors, daß sie wieder mehr Fahrt aufgenommen hatten. Außerdem stieg das Flugzeug nach oben statt nach unten und zog einen weiten Bogen. »Habt ihr euch verflogen?«
    »Das Zielgebiet liegt unter uns. Werjeja . Aber wenn wir dich jetzt 'rauswerfen, schwebst du genau auf eine große sowjetische Transportkolonne zu. Über die Straße Wolschenki - Borowsk knattert Lastwagen an Lastwagen. Alle in Richtung Rollbahn. Was rundherum in den Wäldern liegt, sehen wir nicht. Aber da sind einige Feuer, nur winzige Punkte, das sieht verdammt nach Lagerfeuern aus. Wir müssen ausweichen.«
    Boranow nickte. Rennebergs und Mildas Ausbildung machte sich schon jetzt bezahlt: Er hatte die Karte im Kopf, sah die Landschaft unter sich wie das projizierte Bild auf der großen Leinwand: Die Wälder, von Straßen durchzogen. Der Fluß Nara , den die Straße Roslawl - Moskau überquerte. Die verstreuten Bauernhöfe. Die große Kolchose von Simbuchowo . Das Sägewerk von Nasarjewo . Aber dazwischen, schon näher bei Moskau, gab es ein Gebiet, das sich zum Absprung vorzüglich eignete: die Rübenfelder von Plesenskoje.
    »Abdrehen in Richtung Naro - Fominsk «, sagte Boranow.
    »Verrückt! Da ist doch eine Straße 1. Ordnung und die Eisenbahnstrecke Kaluga - Moskau!«
    »Aber da ist bei Plesenskoje auch ein großes Rübenfeld. Da steige ich aus!«
    »Wenn in den Rüben nicht auch russischer Nachschub sitzt und sich ein Süppchen kocht.«
    »Es gibt Ausweichmöglichkeiten genug.« Boranow klammerte sich wieder an der Stange über der Tür fest. Das Flugzeug zog eine scharfe Linkskurve und legte sich zur Seite. »Wenn's nicht anders geht, werft mich da ab, wo ihr nichts seht. Die Hauptsache ist, ich komme aus eurem Kasten 'raus!«
    Der Oberfeldwebel hob zwei Finger. »Also gut! Kümmern wir uns um die Rüben. Es ist verdammt windig, was du da vorhast …«
    Boranow schwieg. Windig nennt er das! Mein Junge, wenn du wüßtest, zu welchem Sturm wir abkommandiert worden sind! Was du den ganzen Flug über von mir denkst, weiß ich nicht, wir haben nie ein Wort darüber gesprochen, nur deine fragenden Augen habe ich gesehen und habe weggeguckt. Ein Spion, wirst du dir sagen. Ja, das ist ein Spion. Wir setzen ihn über Rußland ab. So also sieht einer aus, der aus dem Dunkeln zuschlägt, der sabotiert, der auch morden kann. Trägt einen alten Anzug und eine Arbeitermütze. Sieht aus wie tausend andere Arbeiter und ist doch einer, der ohne Skrupel und Nerven der Vernichtung dient.
    Alles ist ganz anders, lieber Kamerad. Viel weniger romanhaft, fern allen Klischees. Wir sind nur arme Hunde, die man abgerichtet hat,

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