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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mütterchen?« fragte er.
    »Nur ein paar Tröpfchen gibt die Ziege. Eine ganz alte Ziege …«
    »Und ein Ei!«
    »Oh, ein Ei! Seht euch die Hühner an, Genosse. Zerhacken müßte man sie, wenn man nicht soviel Mitleid mit ihnen hätte. Gackern herum, fressen die guten Körner, scharren und schütteln sich … aber legen sie auch Eier? Ein Jammer ist es. Als ob sie an Verstopfung litten!«
    »Ich habe Hunger …«, sagte Duskow schlicht.
    »Hunger?«
    »Und Durst. Verwundert Sie das, Mütterchen? Jeder Mensch, ganz gleich, was er ist, ernährt sich täglich, und wenn er Nägel kaut. Wovon leben Sie?«
    »Was braucht ein alter Mensch wie ich zum Leben?«
    »Mehr brauch ich auch nicht. Teilen wir's uns …«
    Duskow stieß sich vom Zaun ab, ging zur Haustür und wartete, bis das Mütterchen von innen den Riegel weggeschoben hatte. Er kam in einen großen Raum mit einem riesigen aus Steinen und Lehm gemauerten Ofen. In einer Ecke standen eine Bank, ein langer Tisch und zwei Hocker. Duskow steuerte auf die Bank zu, setzte sich breitbeinig hinter den Tisch und sah sich um. An Nägeln hingen Mütterchens Kleider, hinter dem Ofen, in der Ecke, wo's am wärmsten war, stand ein breites Bett aus Holzbrettern. Auf dem Herd, der mit einer eisernen Platte belegt war, grummelte ein Kessel mit heißem Wasser. Duskow hob den Kopf und schnupperte. Es roch nach frischem Maisbrei, nicht nach einem ungenießbar gesäuerten.
    »Ha!« schrie die Alte plötzlich auf. Duskow zuckte zusammen und spannte die Muskeln.
    »Haben Sie Schmerzen, Mütterchen?« fragte er rauh.
    »Ich habe noch ein Eichen entdeckt, Genosse!« rief die Alte überglücklich. »Lag ganz hinten im Ofen, hatte sich versteckt, das böse Eichen … Aber es nützt ihm nichts … ich gebe es Ihnen, Genosse Inspektor …«
    »In der Pfanne gebacken mit etwas Speck, Mütterchen?«
    »Was ist Speck?« Die Alte faltete die Hände und betrachtete treuherzig ihren ungebetenen Gast. »Wer weiß noch, was Speck ist …«
    »Soll ich ihn dir zeigen? Noch lebend, an einer schönen, fetten Sau?! Gehen wir hinaus in den Anbau, Mütterchen. Hast es unter der Erde in einer Grube stecken, was? Damit man es nicht grunzen und piepen hört … Ein sanftes Schweinchen, das guten Maisbrei frißt …«
    Die Alte versuchte es wieder mit ihrem fürchterlichen Kopfwackeln und sank auf die Ofenbank. Da der Inspektor darauf nicht reagierte, begann sie bei jedem Atemzug zu röcheln, als habe sie eine Schilfröhre verschluckt. Dann setzte der Atem sogar aus, sie verdrehte die Augen und ließ den Kopf gegen den gemauerten Ofen prallen. Duskow wartete ab. Er betrachtete seine Hände, kratzte sich mit auffälliger Langsamkeit den Kopf und leckte sich über die Lippen.
    »Ist es möglich, Mütterchen –«, sagte er, »daß sich vielleicht, genau wie das Eichen, ein Stückchen Speck oder Schinken irgendwo versteckt hat? Nur eine Frage ist's. Man erlebt die sonderbarsten Dinge, wenn man so auf Reisen geht …«
    Die Alte beruhigte sich zusehends, saß gebeugt auf der Ofenbank und kalkulierte das Risiko ein, wenn sie wirklich mit einem Stück Speck das gefundene Ei würzte. Es gab zwei Möglichkeiten: Der Herr Inspektor brüllte: »Ha! Also doch ein heimliches Schwein im Haus! Wo kommt der Speck her, Genossin?! Wie kann 1944 noch ein unregistriertes Schwein herumlaufen?!« Oder der Herr Inspektor sagte milde: »Das war ein gutes Ei mit Speck. Mütterchen, du hast eine gute Seele. Wir wollen heute einmal an allem vorbeischielen, was man sieht …« – Wenn man wüßte, nach welcher Richtung sich der Herr Inspektor wenden würde!
    »Ich kann suchen«, sagte sie und dehnte die dünne Stimme wie vom Löffel fließenden Sirup.
    »Ein guter Gedanke, Mütterchen. Schau in jede Ecke. Aber beeile dich … Hunger habe ich, als ob ein Bär aus dem Winterschlaf erwacht. Man könnte auch, wenn man ganz gründlich sucht, ein Stück Brot und etwas Butter finden. Und Himbeermarmelade vom letzten Jahr. Deine Himbeersträucher hinten am Zaun stehen gut, Mütterchen.«
    Die Alte seufzte tief, als drücke jemand einen schadhaften Blasebalg zusammen, sprang dann, für ihre achtzig Jahre sehr behende, von der Ofenbank und lief hinaus.
    Duskow lehnte sich wohlig zurück und blickte aus dem Fenster. Das ganze Land glänzte wie poliert in der Morgensonne. Wir werden gut frühstücken, dachte er. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Solange man ein Inspektor ist, der ein Auge darauf zu werfen hat, ob die Bauern auch keine

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