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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sicher sagen, wie lange, aber es sei nicht lange gewesen. Vielleicht fünf Minuten.
    »Hat er Ihnen ein Bild gezeigt?«
    Ja, sagte Annie, deshalb war er gekommen. Paul staunte darüber, wie gefasst sie sich anhörte, wie freundlich.
    »Und haben Sie den Mann auf dem Bild gesehen?«
    Annie sagte, selbstverständlich, das sei Paul Sheldon, das habe sie sofort gesehen. »Ich habe alle seine Bücher«, sagte sie. »Ich mag sie sehr. Das schien Officer Kushner zu
enttäuschen. Er sagte, wenn dies der Fall sei, dann wüsste ich sicherlich, wovon ich spreche. Er sah sehr entmutigt aus. Und er schien unter der Hitze zu leiden.«
    »Ja, es war wirklich ein heißer Tag«, sagte Goliath, und Paul erschrak, wie viel näher seine Stimme klang. Im Wohnzimmer? Ja, wahrscheinlich im Wohnzimmer. Groß oder nicht, der Bursche bewegte sich wie ein gottverdammter Luchs. Als Annie antwortete, war ihre eigene Stimme noch näher. Die Polizisten waren ins Wohnzimmer gegangen, sie folgte ihnen. Sie hatte sie nicht aufgefordert, aber sie gingen dennoch hinein. Sie sahen sich ein wenig um.
    Wenngleich ihr Privatschriftsteller nun keine zehn Schritte entfernt war, klang Annies Stimme beherrscht. Sie hatte ihn gefragt, ob er auf einen Eiskaffee hereinkommen wolle; er hatte gesagt, das könne er nicht. Daher hatte sie ihn gefragt, ob er eine kalte Flasche …
    »Bitte, machen Sie das nicht kaputt!«, unterbrach Annie sich selbst, und ihre Stimme wurde schärfer. »Ich mag diese Stücke sehr, und einige davon sind sehr zerbrechlich.«
    »Tut mir leid, Ma’am.« Das musste David sein, seine Stimme leise und flüsternd, demütig und ein wenig verblüfft. Unter anderen Umständen wäre dieser Tonfall bei einem Cop amüsant gewesen, aber dies waren keine anderen Umstände, und Paul war nicht amüsiert. Er saß steif da und hörte, wie etwas mit einem leisen Klicken vorsichtig wieder hingestellt wurde (möglicherweise der Pinguin auf dem Eisblock), seine Hände umklammerten fest die Armlehnen des Rollstuhls. Er stellte sich vor, wie sie an ihrer Umhängetasche herumfummelte. Er wartete darauf, dass einer der Cops - wahrscheinlich Goliath - sie fragen würde, was zum Teufel sie darin aufbewahrte.

    Dann würde die Schießerei anfangen.
    »Was wollten Sie gerade sagen?«, fragte David.
    »Ich fragte ihn, ob er eine kalte Pepsi aus dem Kühlschrank mit auf den Weg nehmen wolle, weil es so ein heißer Tag war. Ich bewahre sie direkt neben dem Eisfach auf; dort bekommt man sie am kältesten, ohne sie einzufrieren. Er sagte, das wäre sehr freundlich. Ein sehr höflicher Junge. Warum wurde ein so junger Mann allein losgeschickt, wissen Sie das?«
    »Hat er die Limonade hier getrunken?«, fragte David, ohne ihre Frage zu beachten. Seine Stimme klang noch näher. Er hatte das Wohnzimmer durchquert. Paul musste nicht die Augen schließen, um sich vorzustellen, wie er dort stand und den kurzen Flur entlangsah, der am Bad vorbeiführte und vor dem verschlossenen Gästezimmer endete. Paul saß angespannt da, sein Herzschlag pochte in seinem dürren Hals.
    »Nein«, sagte Annie so beherrscht wie immer. »Er nahm sie mit. Er sagte, er wolle sich auf den Weg machen.«
    »Was ist dort hinten?«, fragte Goliath. Man hörte ein zweifaches, dumpfes Poltern, als seine Stiefel vom Wohnzimmerteppich auf die bloßen Dielen des Flurs traten.
    »Ein Bad und ein zweites Schlafzimmer. Ich schlafe manchmal dort, wenn es sehr heiß ist. Sie können gern nachsehen, wenn Sie möchten, aber ich verspreche Ihnen, dass ich Ihren Polizisten nicht ans Bett gefesselt habe.«
    »Nein, Ma’am, dessen bin ich mir sicher«, sagte David, dann entfernten sich ihre Schritte und Stimmen erstaunlicherweise wieder in Richtung Küche. »Schien er irgendwie aufgeregt zu sein, als er hier war?«
    »Überhaupt nicht«, sagte Annie. »Nur erschöpft und entmutigt.« Paul fing wieder an zu atmen.

    »Mit irgendetwas beschäftigt?«
    »Nein.«
    »Hat er gesagt, wohin er als Nächstes wollte?«
    Wenngleich es den beiden Cops gewiss nicht auffiel, bemerkte Pauls geübtes Ohr doch ihr winziges Zögern - das konnte eine Falle sein, die sofort oder nach kurzer Verzögerung zuschnappen würde. Nein, sagte sie schließlich, aber er sei Richtung Westen gefahren, daher vermute sie, er wollte zur Springer’s Road und den wenigen Farmen, die dort draußen lagen.
    »Danke für Ihre Mithilfe, Ma’am«, sagte David. »Es könnte sein, dass wir Sie noch einmal belästigen müssen.«
    »Schon gut«, sagte Annie.

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