Sieben
Doyle verblüfft.
»Nein«, sagte Sparks. »Aber ich habe schon vor vielen Jahren Gerüchte über einen solchen Raum vernommen.« Erneut blieben sie in einer Schneise stehen. Sie waren dem Ausgang noch keinen Schritt nähergekommen.
»Wie der Friedhof der Zivilisation«, sagte Larry.
»Die Siegesbeute des sich ausdehnenden britischen Weltreiches«, sagte Doyle.
»Möge Gott dem weißen Mann gnädig sein«, sagte Larry. »Sieht so aus, als hätten wir alles geklaut, was nich nietund nagelfest ist, und uns dann aus dem Staub gemacht.«
»Genau das haben wir getan«, sagte Sparks. »Wir haben die Magazine der Menschheit geplündert und ihre Gräber ausgeräumt, und die Beute unserer Eroberungslust, die wir nicht oben ausstellen, verstecken wir verschämt vor den Blicken der Öffentlichkeit hier unten.«
»So wie es jede andere dominante Kultur während ihres Aufstiegs getan hat«, sagte Doyle.
»Ich finde, die Welt da oben is noch ʹn ärmerer Platz dafür«, sagte Larry mit einer Trauer, die durch die intime Kenntnis seiner rechtswidrigen Gier noch verstärkt wurde.
»Wir sollten nicht darüber trauern«, sagte Sparks. »Bald wird es eine andere Zivilisation geben, die auf Eroberung aus ist, und die wird uns dann von dieser Last befreien.«
»Es sieht so aus, als wäre seit Jahren niemand hier unten gewesen«, sagte Doyle und wischte eine dicke Staubschicht von den Zehen einer kriegerisch aussehenden Athene.
»Außer einem«, sagte Sparks. »Er war zumindest so lange hier, um Tuamutefs Statue zu stehlen. Wenn nicht sogar länger.«
»Wieso, Jack?«
»Obwohl die Anordnung der Gegenstände auf den ersten Blick völlig willkürlich erscheint, folgt sie doch einer bestimmten losen Methode. In fast jeder wertvollen Sammlungffder wir begegnet sind, haben signifikante Stücke gefehlt. Hier haben wir ein Beispiel... Seht ihr?«
Sparks richtete ihre Aufmerksamkeit auf ein Quintett altgriechischer Statuen, die eine Szene lebhafter und sinnlicher Nymphen darstellten. »Kalliope, Klio, Erato, Euterpe«, sagte Sparks. »Und diese muntere Maid ist, glaube ich, Terpsichore.«
»Die neun Musen«, sagte Doyle.
»Ich hatte mal 'n Onkel«, sagte Larry, »der hat auch Kalliope gespielt.«
»Aber nur fünf von ihnen sind noch hier. An diesen Streifen auf dem Boden sieht man ganz eindeutig, daß die vier fehlenden Damen - helfen Sie mir, Doyle: Polyhymnia, Melpomene ...«
»Thalia und Urania.«
»Danke. Man kann an diesen Streifen erkennen, daß die vier anderen ursprünglich neben ihren Schwestern gestanden haben.«
»Glauben Sie, sie sind gestohlen worden?«
»Ja. Ich habe hier überall ähnliche Muster selektiver Diebereien gesehen. Wie Ihnen aufgefallen ist, Doyle, haben die Verwalter dieses Zirkus sich lange nicht mehr hier blicken lassen. Die Angehörigen der Bruderschaft haben den Schacht zum Tunnel angelegt, um Zugang zu diesem Raum zu erhalten. Sie könnten bis zum Jüngsten Tag einen ständigen Strom von Schätzen aus diesem Fundus stehlen, ohne daß man auch nur einen Teelöffel vermissen würde.«
»Aber zu welchem Zweck?«
»Es gibt zwei Gründe: Entweder, um sie für sich selbst zu behalten, oder, um sie zu versilbern. All die Dinge, die sich hier befinden, sind mehr oder weniger unerschwinglich.«
»Ist das also das Ziel der Bruderschaft? Den Weg zum Antiquitätenmarkt abzukürzen?«
»Eine Eliteorganisation aus einflußreichen Persönlichkeiten wie jene Größen auf der Liste um sich zu scharen und dann einen - wie auch immer ambitionierten - Fechtverein zu gründen, erscheint mir nun doch etwas zu prosaisch, meinst du nicht auch, Larry?«
»Als würden sich alle Meisterköche Europas zusammentun um Frikadellen zu braten.«
»So ungefähr. Ich vermute, die Gründe hinter diesen Diebstählen dienen zwei Zwecken: dem Erwerb bestimmter und heiliger Gegenstände - zum Beispiel unser Freund Tuamutef -, von denen man glaubt, daß sie als Brücke zur mystischen Ebene notwendig sind. Und dem profitablen Verkauf der Dinge, die man selbst nicht braucht, auf dem Schwarzmarkt, um den Rest der Aktivitäten zu finanzieren.«
»Aber Sie haben doch gesagt, daß diese Leute alle steinreich sind«, sagte Doyle.
»Womit ich Sie mit der ersten, ehernen Regel aller Steinreichen bekanntmachen möchte: Gib niemals dein eigenes Geld aus.«
»Amen«, sagte Larry, in dessen Augen ein verräterisches Leuchten erstrahlte.
»Verzeihung, Larry. Dieses Prinzip ist zweifellos viel weniger klassenbewußt, als ich gerade
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