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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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oder meine tatsächlichen Leistungen auf der Violine. Am nächsten Tag schrieb ich Alexander den allerletzten Brief, der nur einen verschlüsselten Satz enthielt: ›Es ist vollbrachte Ich bekam keine Antwort. Mitte Juni begleiteten mich meine Eltern zusammen mit dem Diener, der mein Reisebegleiter sein sollte nach Brighton, wo sie sich zu meinem ersten alleinigen Abenteuer in Europa verabschiedeten. Ich schiffte mich zum Kontinent ein, kam zwei Tage später in Österreich an und wurde sofort ins Salzburger Konservatorium aufgenommen, wo ich mich mit meinen Studien beschäftigte und den Juli sowie eine Nachricht von Alexander erwartete.«
    Auf der Tanzfläche wimmelte es nun von Ausgelassenen.
    Als sich die Stunde des neuen Jahres näherte, stimmte das Orchester die aktuellen Schnulzen an. Eine wahnsinnige, steife Energie trieb die Menge an, deren Freude an dem festlichen Ereignis unsicher zwischen ehrlicher Erregung und Pflichtbewußtsein schwankte.
    »Hat er eine Nachricht geschickt?«
    Sparks schaute zu Doyle auf, seine Augen waren kalt und transparent. Doyle blickte tiefer in Sparks private Welt, als es ihm je zuvor gestattet worden war.
    »Nicht so, wie ich es erwartet hatte. In der zweiten Juliwoche wurde ich aus dem Privatunterricht gerufen und ins Büro des Rektors gebracht. Dort stand mein Diener. Der arme Kerl war in einem schrecklichen Zustand und weiß wie eine Wand. Was ist denn los? fragte ich, aber ich kannte die Antwort schon, bevor er auch nur ein Wort gesagt hatte.«
    Doyle lauschte gebannt Sparksʹ Worten. Alle anderen Blicke im Raum waren auf die große Uhr gerichtet, die über der Theke hing. Als die letzten Sekunden des Jahres vertickten, fing die Menge an laut zu zählen.
    »Zehn, neun, acht...«
    »Sie müssen sofort nach England zurückkehren, sagte der Rektor zu mir, und zwar noch heute abend.« Sparksʹ Stimme wurde lauter, damit sie im allgemeinen Lärm nicht unterging. »Es hat einen Brand gegeben.«
    »Sieben, sechs, fünf ...«
    »Sind sie tot? Sind meine Eltern tot?«
    »Vier, drei, zwei...«
    »Ja, John«, sagte er. »Ja, sie sind tot.«
    Das Zählen endete, das Lokal explodierte in Geschrei und Gesang. Luftschlangen flogen durch den Raum. Rasseln schnarrten. Liebende küßten sich, Fremde nahmen sich in die Arme. Die Kapelle spielte weiter. Doyle und Sparks saßen inmitten des Crescendos der Feier, ihre Blicke trafen sich und wichen einander nicht aus.
    »Alexander«, sagte Doyle, obwohl er wußte, daß Sparks ihn nicht hören konnte. Er konnte sich nicht einmal selbst hören. Sparks nickte. Dann erhob er sich ohne ein weiteres Wort von seinem Stuhl, warf einen Stapel Pfundnoten auf den Tisch und schob sich durch die Menge zur Tür. Doyle folgte ihm, doch seine Passage erinnerte mehr an einen Rugbyrüpel als an Sparksʹ chirurgisches Manövrieren. Sparks schob sich durch den irrsinnigen Lärm bis an die Tür und drängte sich auf die Straße hinaus. Doyle kämpfte sich gegen den Strom zu seinem Freund durch, der außerhalb des fließenden Fußgängerverkehrs, von den Massen entfernt, an einem Laternenpfahl stand. Bald hatten sie den Fluß erreicht. Auf der anderen Seite der Themse jagte ein Feuerwerk schwingende Funken in die Luft, die von dem eisigen schwarzen Wasser finster reflektiert wurden.
    »Nach zwei Tagen war ich zu Hause«, sagte Sparks nach einer Weile. »Vom Haus war nichts mehr übrig außer Asche. Die Einheimischen sagten, man hätte das Feuer meilenweit gesehen. Großbrand. Außerdem hat es fünf Angestellte das Leben gekostet.«
    »Hat man die Toten...?«ʹ
    »Die Leiche meiner Mutter wurde nie gefunden. Mein Vater ... ist irgendwie aus dem Haus gekommen. Man hat ihn bei den Ställen gefunden. Zur Unkenntlichkeit verbrannt. Er hat noch fast einen ganzen Tag gelebt. Er hat nach mir gefragt, hoffte auf meine Heimkehr. Als es zu Ende ging, nahm er all seine Kräfte zusammen und diktierte einem Priester einen Brief. Er war für mich. Der Priester gab ihn mir kurz nach meiner Ankunft.«
    Sparks warf einen Blick auf den Fluß hinaus. Kalter Wind wehte heran. Doyle fröstelte in seinem Dinnerjackett, aber eingedenk seines Freundes war ihm nicht daran gelegen, dessen Aufmerksamkeit auf die ihn plagende Lappalie zu richten.
    »Vater schrieb mir, ich hätte einst eine Schwester gehabt, sie sei dreiundfünfzig Tage alt geworden. Mein Bruder Alexander habe das Mädchen in der Wiege ermordet, meine Mutter hat seine Untat halb mitbekommen. Deswegen hätten sie uns voneinander

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