Sieben auf einen Streich
sich sein treues Bruderherz, die kleine Schwester diesem Individuum
zum Fraß vorzuwerfen. Er trachtete deshalb nach einer Möglichkeit, sie schnell
von diesem Ort zu entfernen. Florian kam ihm zu Hilfe.
»Ich dachte, wir wollten die Dias des
Jahres vorführen!«
»Recht hast du!« antwortete Michael
voll Dankbarkeit. «Dann wird wenigstens ein Programmpunkt des Tages ordentlich
erledigt.«
»Ich verabscheue Dias«, bemerkte der
Herr und rückte noch näher an Fränzchen heran, »aber in diesem Fall werde ich
meine Abneigung überwinden. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, bleibe ich einfach
hier sitzen.«
Der Herr rutschte wieder ein Stückchen
näher an Fränzchen heran.
»Aber natürlich!« Michael erhob sich.
»Leider müssen wir uns jetzt verabschieden. Die Vorführung findet in unserem
Zimmer statt. Dort habe ich den Projektor schon aufgebaut. Kommt, Leute!«
An den Herrn erging keine Einladung.
Wir erhoben uns lärmend, um die Peinlichkeit des Augenblicks zu dämpfen. Nur
Fränzchen blieb sitzen und kramte in ihrer Handtasche.
»Komm, holde Schwägerin!« Florian bot
ihr den Arm.
»Ach Florian, ich glaub’, ich hab’ heute
einfach genug...«
»Kommt nicht in Frage. Keiner darf sich
drücken.« Und zu dem Herrn gewendet: »Angenehme Nachtruhe! Heute werden Sie
keinen Ärger mit uns haben. Wir sind sehr müde.«
Dann zog er Fränzchen sanft, aber
dringlich hoch und hinaus. Da saß der Herr am leeren Tisch, und wie es schien,
war ihm nicht einmal sein Humor verblieben.
Ich hockte auf Veras Bettkante, kam mir
aber vor wie mitten im Rangierbahnhof. Rechts von mir pfiff Julia leise vor
sich hin. Links stand Manfred unter Dampf und ließ ihn ab und zu unter scharfem
Zischen entweichen. Bald gab ich es auf, sie zu knuffen und zu puffen, denn sie
fielen nach kurzem Emporschrecken sofort wieder in Schlaf. Für ihre
Verhältnisse hatten sie an diesem Abend Überdurchschnittliches, ja Übermenschliches
geleistet. Sie hatten bereits zwei Stunden ihrer üblichen Schlafzeit geopfert,
hatten nach reichlichem Essen und Trinken noch Kontakte gepflegt und
Unterhaltung bestritten. Doch nun, im engen, warmen Zimmer, umgeben von
Finsternis, das einschläfernde Schnurren des Projektors im Ohr und die
gleichbleibend possierlichen Wubbeldias im Auge, fiel die Müdigkeit mit Macht
über sie her. Die Natur der Abendmuffel siegte über den ohnehin nicht sehr
gefragten Geist, und sie schliefen.
Manfreds Schlaf war zudem eine
Protestaktion gegen Dias, welche, wie er nach kurzem Blick festgestellt hatte,
keinerlei Anspruch auf künstlerische Vollendung erhoben, sondern einzig und
allein Elternstolz und Elternliebe demonstrierten.
Wubbel auf dem Töpfchen sitzend, Wubbel
im Bett, Wubbel mit und ohne Hütchen, lachend, weinend, auf dem Arm der Mutter,
des Vaters, der Tante, des Onkels... Stefan, seiner Art gemäß, führte die Dias
bedächtig und langsam vor und gab dadurch der Rockerbraut und liebenden Mutter
Gelegenheit, erklärende Bemerkungen an die Zuschauer zu richten. Wenn die
Rockerbraut verstummte, fing Gitti an, denn sie liebte den kleinen Wubbel
herzlich und war seine Patentante.
Als endlich Stefan ans Ende der
Wubbelserie gelangt und Florian Besitz vom Projektor ergriffen, als die hehre
Bergwelt aufflimmerte und Florians rote Kniestrümpfe, da wurde es immer stiller
im Zuschauerraum.
Ich sah noch Vera, winkend auf einem
Schiff, und Vera, den schiefen Turm von Pisa hochstemmend, dann sah ich nichts
mehr.
Beim Anflug auf Thailand lag die ganze
Familie, oder vielmehr die Restbestände, welche noch nicht entflohen, schlafend
auf Betten und Stühlen verstreut. Nur Andreas und Mathias zeigten keine
Ermüdungserscheinungen und feuerten Michael zu immer neuen Vorführungen an.
»Mensch, die Krokodilsfarm, die isch
aber gfährlich! Und da hasch kei Angscht ghabt? Onkel Michael, deine Bilder sin
Klasse!«
Als das Licht aufflammte, fuhren wir
hoch, winkten einen müden Abschiedsgruß und tappten von dannen.
Andreas und Mathias halfen dem Onkel
seinen Apparat zu verstauen und gingen dann nach unten, um einen Sprudel zu
trinken.
Im Restaurant sahen sie Tante
Fränzchen, welche mit dem Herrn an einem Tisch saß, tief ins Gespräch
versunken.
»Heh, Tante Fränzle, bisch du au no
da?« so riefen sie freudig und gesellten sich zu ihr.
»Ich dachte, ihr wärt im Bett!«
murmelte sie ungnädig und warf ihnen barsche Blicke zu. Doch blieb ihre Mühe
vergeblich. Auf Blicke pflegten die beiden nicht zu reagieren. Sie holten
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