Sieben Jahre Sehnsucht
war er ihnen hilflos ausgeliefert.
Er bot ihr seinen Arm und geleitete sie die Stufen empor. Als die Tür sich öffnete, reichte er dem Butler seine Visitenkarte und ließ sich mit Jessica in den Salon bringen, der in heiteren Gelbtönen gehalten war. Jessica nahm Platz, doch er blieb stehen, war zu nervös, um ruhig zu sitzen. Außerdem wollte er sofort wieder gehen, sobald er Lady Regmont seine Aufwartung gemacht hatte. Da sie erst vor wenigen Stunden im Hafen angekommen waren, hatte er einiges zu tun. Seine Londoner Dienerschaft war über seine Rückkehr nicht informiert worden und hatte sein Haus noch nicht vorbereitet. Außerdem wollte er seiner Mutter eine kurze Nachricht schreiben und sie um einen Besuchstermin bitten, damit er ihr von Jessica erzählen konnte. Und Michael wollte er ebenfalls eine Nachricht zukommen lassen.
Er war von Ungeduld getrieben. Bis die Verlobung zwischen Jessica und ihm offiziell bekannt gegeben werden konnte, gab es noch unzählige Dinge zu erledigen.
»Jess!«
Hester stürmte herein, und bei ihrem Anblick verschlug es ihm für einen Moment die Sprache. Es war Jahre her, seit er sie zuletzt gesehen hatte, und damals war sie ständig in Begleitung von Jessica gewesen, die immer Alistairs ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Dennoch war er sich sicher, dass Lady Regmont nie so zart und zerbrechlich gewesen war. In Gedanken überschlug er die Wochen. Sie müsste inzwischen im fünften Monat sein, aber man sah ihr die Schwangerschaft nicht an. Sie war viel zu dünn und außerdem viel zu blass, wodurch das Rouge auf ihren Wangen unnatürlich grell wirkte.
Ein Schaudern durchfuhr ihn. Hatte sie das Kind verloren?
Die Schwestern umarmten sich. Die Unterschiede zwischen den beiden wurden durch ihre Ähnlichkeit noch offensichtlicher. Jessica sprühte vor Lebensfreude – ihre Augen leuchteten, ihre Lippen waren prall und gut durchblutet von seinen Küssen, ihre Haut schimmerte rosig durch den regelmäßigen Beischlaf. Im Vergleich dazu wirkte Hester beinahe wie ein Gespenst.
»Mein Gott«, rief Hester atemlos, »du siehst wunderbar aus! So strahlend und glücklich wie nie zuvor.«
Jessica lächelte. »Das verdanke ich Mr. Caulfield.«
Hester wandte sich Alistair zu, und der Ausdruck in ihren grünen Augen blieb herzlich und warm. Mit ausgestreckten Händen kam sie auf ihn zu. Als er ihre Hände ergriff und an die Lippen hob, bemerkte er die vorstehenden blauen Adern unter der pergamentdünnen Haut. Die feinen Äderchen um ihre Augen und an den Schläfen waren ebenfalls besorgniserregend.
»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet«, sagte sie. »Bei den vielen Verpflichtungen, die Sie gewiss hatten, war es unendlich großmütig, dass Sie sich meiner Schwester angenommen haben.«
»Es war mir ein Vergnügen«, murmelte er mit gezwungenem Lächeln. Irgendetwas stimmte mit Regmont nicht, denn wie könnte er sonst zulassen, dass seine Gattin derart verfiel? Vor allem wenn sie sein Kind in sich trug? Würde Jessica so dünn und siech aussehen, würde er sie ins Bett packen und eigenhändig füttern, ihr nicht von der Seite weichen, bis sie sich wieder erholt hatte.
»Wie geht es dir?«, fragte Jessica ihre Schwester. Der kurze Blick, den sie Alistair zuwarf, verriet, dass sie sich um Hester genauso sorgte wie er.
»Ausgezeichnet.« Mit langsamen, vorsichtigen Schritten ging Hester zu einem Sofa. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich so bald wiederzusehen. Du musst gleich nach der Ankunft wieder zurückgereist sein.«
»Welche Reaktion hättest du denn erwartet, wenn ich deinen Brief erhalte?«
»Dass du mir Glück wünschst und deine Zeit auf den Westindischen Inseln genießt.«
Jessica zog die Handschuhe aus. »Ich habe beides getan, und jetzt bin ich hier.«
»Mir geht es wirklich gut«, beteuerte Hester. »Diese dumme Morgenübelkeit ist Gott sei Dank vorbei. Ich bin oft erschöpft, aber der Arzt meint, das sei normal. Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr. Caulfield. Es ist eine Ewigkeit her.«
»Danke, aber ich kann nicht bleiben. Ich war längere Zeit außer Landes, da hat sich einiges angesammelt.«
»Sicher.« Ihr Lächeln schwand. »Wie unüberlegt von mir. Ich will Sie natürlich nicht aufhalten. Vielen Dank, dass Sie meine Schwester hierherbegleitet haben. Werden Sie Lord Tarley in absehbarer Zeit sehen?«
»Bestimmt.«
»Gut. Bestellen Sie ihm doch bitte meine herzlichen Grüße.«
Jessica legte ihre Handschuhe auf den geblümten Sessel neben ihr. »Ich
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