Sieben Jahre Sehnsucht
erwartet hatte. Doch dann verstand sie. Zu den härteren Lektionen, die sie in der Jugend gelernt hatte, gehörte jene, dass man das Unvermeidliche nicht aufschieben sollte, da es sonst in eine noch schlimmere Strafe mündete.
Zurückgehaltene Tränen brannten in ihren Augen, aus Mitgefühl für den Jungen vor ihr und für das Kind, das sie einst gewesen war. Sehr wahrscheinlich hatte sie für den kleinen Burschen alles nur noch schlimmer gemacht.
Wortlos drehte Jess sich um und eilte auf den Niedergang zu. Als sie Alistairs Hand im Rücken spürte, verschwamm ihr alles vor den Augen. Sie ließ sich von ihm führen, war ihm dankbar, als er sie unter Deck und in den geschützten Raum einer Kabine brachte.
Seiner Kabine. Trotz ihres inneren Aufruhrs und ihrer tränennassen Augen erkannte sie das sofort am Geruch. Sein einzigartiger männlicher Duft erfüllte die Luft und ließ Jessicas Körpertemperatur ansteigen.
Die Kabine war ähnlich groß und ähnlich ausgestattet wie ihre eigene, doch sie spürte, wie sich in seinem Territorium ihre Wahrnehmung erweiterte und eine durch und durch sinnliche Erwartung von ihr Besitz ergriff.
Sie stieß einen zitternden Atemzug aus und verkrampfte die Hände ineinander, als wollte sie ihrem inneren Aufruhr Ausdruck verleihen. Sosehr sie es auch gehofft hatte, sie hatte sich immer noch nicht von ihrem Vater befreit. Und wusste nun, dass sie niemals von ihm frei sein würde.
»Jessica?« Alistair eilte zu ihr. Sein Atem strich über ihr Gesicht. »Zum Teufel … Nicht weinen!«
Sie versuchte sich abzuwenden, aber er hielt sie fest, drückte sie an seinen harten, muskulösen Körper. Ihre Wange lag an seiner Brust, und sie konnte seinen kräftigen, regelmäßigen Herzschlag hören.
»Sprich mit mir«, drängte er.
»D-Dieser Mann ist unverschämt und beleidigend. Er ist niederträchtig und zeigt keine Reue. Ich kenne diesen Typus. Er ist eine Bestie. Du solltest ihn besser loswerden.«
Eine lange Pause trat ein. Alistairs Atmung war zu kontrolliert, um völlig natürlich zu sein. Jessica kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er ihre Bedenken ernst nahm und sich Gedanken über deren Ursache machte.
Mit beiden Händen strich er über ihre Wirbelsäule. »Ich werde mit Captain Smith sprechen. Der Mann wird am nächsten Hafen entlassen.«
Sie richtete sich auf, schuf etwas räumlichen Abstand zwischen ihnen. Er löste in ihr den Wunsch aus, sich an ihn zu lehnen – sich auf eine sehr gefährliche Art an ihn zu lehnen, die über das Körperliche hinausging.
»Jess …« Die vertrauliche Anrede löste noch mehr widersprüchliche Gefühle in ihr aus. »Es würde dir guttun, über die Ursache deines Kummers zu sprechen.«
»Mit dir?«, fauchte sie ihn an, ihre Frustration über ihre Schwäche mit Abwehr kompensierend. Sie war zu empfänglich für ihn, zu ausgeliefert. »Ich soll mich einem Fremden anvertrauen?«
Er nahm ihre barschen Worte mit einem Gleichmut hin, der Jess beschämte. »Vielleicht bin ich tatsächlich eine gute Wahl«, erwiderte er ruhig. »Ich bin unparteiisch, und du hast mich in der Hand, da du meine dunkle Vergangenheit kennst. Selbst wenn ich vertrauliche Informationen über dich weitergeben wollte – was ich, wie du weißt, niemals tun würde –, bin ich weit genug von allen Menschen entfernt, die dies gegen dich verwenden könnten.«
»Es gibt nichts, worüber ich im Moment weniger gern reden möchte.« Sie ging auf die Tür zu.
Alistair stellte sich ihr in den Weg und verschränkte die Arme.
Die provozierende Geste verstärkte ihre gereizte Stimmung. »Willst du mich hier festhalten?«
Die Krümmung seines schönen Mundes war eine stumme Herausforderung. Doch im Gegensatz zu dem höhnischen Ausdruck des Seemanns gab Alistairs Blick ihr Kraft.
»Du bist jetzt zu verletzbar«, sagte er. »Und solange das so ist, wirst du bei mir bleiben.«
Die Parallelen zu dem, was die Zofe vor Kurzem auf Deck gesagt hatte, waren nicht von der Hand zu weisen. Er meinte etwas anderes damit, aber die Formulierung war zutreffend. Dank Beths größerer Erfahrung wusste Jess nun, warum sie der Verlockung, die Alistair darstellte, so erlag. Gleichwohl war ihr nach wie vor nicht klar, was er dadurch gewinnen sollte.
»Was bedeute ich dir?«
»Du bist meine Geliebte, Jess.«
»Noch nicht.«
»Das Körperliche ist an dieser Stelle lediglich eine Formalität.« Seine Stimme war tief und vertraut. »Die Sache zwischen dir und mir war immer unvermeidbar. Und ich bin
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