Sieben Jahre Sehnsucht
entnehme.«
»Nicht grimmig, sondern nachdenklich«, verbesserte er sie, obwohl er sich eingestehen musste, dass er in der Tat ein grimmiges Gesicht machte. Was seinem Charakter absolut widersprach. Die Fähigkeit, seine Miene unter Kontrolle zu halten, trug wesentlich zu seinem Lebensunterhalt bei – in der Vergangenheit und in der Gegenwart. »Wir haben das Gespräch von heute Morgen über dein Verhalten wegen dieses Seemanns noch nicht beendet.«
Sie reckte das Kinn in die Höhe und holte tief Luft. »Ich will mich nicht vor einer Antwort drücken«, begann sie, »dennoch muss ich dich fragen: Willst du wirklich alle widerwärtigen Details meiner Vergangenheit wissen? Offen gestanden wäre es mir lieber, du sähest mich als romantisches Wesen statt als befleckte und geknechtete Kreatur.«
»Ist das alles, was du von mir verlangst?«, begehrte er auf, wütend über die Kluft, die sich zwischen ihnen auftat. »Dass ich nur die Oberfläche wahrnehme und nicht, was darunter verborgen ist?«
»Nein.« Beschwichtigend legte sie die Hand auf seinen Unterarm.
Alistair überrumpelte sie, indem er seine Hand auf ihre legte.
Sie sah ihn an. »Es gibt auch sehr vieles, was ich gern über dich erfahren würde. Eigentlich alles.«
»Warum?«
Eine leichte Furche trat zwischen ihre Brauen. Das Mondlicht tauchte ihr goldenes Haar in silbernen Glanz und ließ ihre Haut wie Perlmutt schimmern. Sie strahlte eine neue Sanftheit aus, die ihm vorhin entgangen war. Er fragte sich, ob diese Sanftheit bereits während des Abendessens da gewesen war oder ob sie nur jetzt sichtbar wurde, weil sie allein waren. So unsicher, wie er sich im Moment fühlte, wäre ihm Letzteres lieber, was ihn nur noch trübsinniger machte. Eher wollte er verdammt sein, als zu einem bedürftigen Schwächling zu werden.
»Weil du mich faszinierst«, erwiderte sie jetzt weich. »Immer wenn ich glaube, ich würde dich nun kennen, zeigst du mir eine neue, überraschende Seite von dir.«
»Wie zum Beispiel …?«
Sie senkte die Lider. Ihre dichten Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen. »Zum Beispiel, als du neulich das Steuer übernommen hast. Oder dieses Picknick auf Deck. Und als du an jenem Abend meine Kabine verlassen hast.«
Er nickte.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe, hörte jedoch sofort wieder damit auf, als wollte sie jeden Anschein von Nervosität vermeiden. »Ich verstehe nicht, was in dich gefahren ist. Habe ich dich durch irgendetwas verärgert?«
»Wie könntest du? Wäre ich mit dir noch glücklicher, müsste ich um meinen Verstand fürchten.« Er verschränkte die Finger mit ihren.
Jessica holte tief Luft. »Mein Vater war der Ansicht, ein Kind werde zu sehr verwöhnt, wenn man ihm die Rute ersparte.«
Alistair spannte sich an. »Ach?«
»Es erübrigt sich zu sagen, dass mir weder die Rute erspart blieb noch dass ich verwöhnt wurde.« Ihr Griff um seine Hand wurde fester. »Deshalb reagiere ich sehr heftig auf bru-tale Männer, vor allem auf jene, die auch Kinder nicht verschonen.«
Zorn wallte in ihm auf. »Ist das die Konsequenz, von der du gestern gesprochen hast? Du wurdest geschlagen, wenn du dich nicht gut benommen hast? Hadley hat dich verprügelt?«
»Im Rückblick war ich wohl ein recht schwieriges Kind.«
»Das erfordert Geduld, keine Schläge! Das weißt du.«
»Was geschehen ist, ist geschehen«, wehrte sie ab, obwohl ihre Stimme zitterte.
»Aber nicht vergessen.« Er trat näher. »Du warst heute zutiefst verzweifelt. Der Schmerz deiner Kindheit gärt noch immer in dir.«
»Wahrscheinlich.« Sie schenkte ihm ein zögerndes süßes Lächeln, das ein weiterer Nagel in seinem Sarg war. »Dennoch habe ich heute erkannt, dass ich stärker bin, als ich es mir zugetraut habe. Obwohl Hadley sich weiß Gott bemüht hat, mich zu einem angepassten Mitglied der Gesellschaft zu erziehen, bin ich trotzdem imstande, deine kühne Lebensweise zu bewundern. Und deine Gesellschaft rückhaltlos zu genießen.«
Alistairs Herz krampfte sich zusammen. »Du hast dich mir aus Rebellion gegen Hadley hingegeben?«
»Nein. Einzig mir zur Freude, denn Hadleys Meinungen sind für mich nicht mehr von Belang. Wahrscheinlich ist dir gar nicht klar, wie lebensentscheidend die Erkenntnis für mich ist, dass Hadley mich trotz allem nicht vernichten konnte. Ich habe mir etwas von meiner Individualität bewahrt, und als dieses Individuum begehrte ich dich heute.«
»Schließt deine Erkenntnis auch mit ein, dass du mich als Geliebten nehmen willst,
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