Sieben Jahre später
zu essen. An diesem winterlichen Spätnachmittag aber gleicht die Landschaft einer Skistation. Durch die Scheiben der verglasten Veranda erkennt man in dicke Parkas gekleidete Passanten, die sich durch den Schnee kämpfen wie Eskimos auf einer Eisbank.
»Bevor Sie mir die Frage stellen: Ich heiße Nikki.«
»Sebastian Larabee, sehr erfreut.«
Das Café ist überfüllt. Zum Glück wird ein kleiner Tisch mit Blick auf die Schlittschuhbahn frei.
»Der Wein ist etwas herb, oder?«, fragt sie und stellt ihr Glas ab.
»Herb? Das ist ein Gruaud-Larose 1982!«
»Schon gut, ich wollte Sie nicht verärgern.«
»Wissen Sie, wie viel der kostet? Und welche Note er im Guide Parker bekommen hat?«
»Nein, und das ist mir auch ziemlich egal. Sollte er mir schmecken, nur weil er teuer ist?«
Ich schüttle den Kopf und wechsle das Thema. »Was machen Sie an Heiligabend?«
Gleichgültig antwortet sie: »Wir haben mit ein paar Freundinnen ein altes Haus in der Nähe der Docks besetzt. Wir werden trinken und ein paar Joints rauchen. Wenn Sie Lust haben, kommen Sie doch vorbei …«
»Mich mit Squattern betrinken? Nein danke …«
»Ihr Problem. Hier darf man nicht rauchen oder?«
»Ich glaube nicht.«
»Schade.«
»Was machen Sie? Sind Sie Studentin?«
»Ich nehme Schauspielunterricht und mache Fotos für eine Modelagentur. Und Sie?«
»Ich bin Geigenbauer.«
»Wirklich?«
»Ich stelle Geigen her und repariere sie.«
»Danke. Denken Sie, ich weiß nicht, was ein Geigenbauer tut? Wofür halten Sie mich? Für ein Landei aus Kentucky?« Sie nippt an ihrem Wein.
»Eigentlich gar nicht so schlecht, der Wein. Für wen ist das Parfüm? Für Ihre Freundin?«
»Für meine Mutter.«
»Die Ärmste. Fragen Sie mich nächstes Mal um Rat, dann vermeiden Sie Geschmacksverirrungen.«
»Genau. Ich werde mir Rat bei einer Diebin einholen.«
»Warum gleich so harte Worte?«
»Mal ernsthaft, machen Sie so was oft?«
»Wissen Sie, wie teuer ein Lippenstift ist? Glauben Sie mir, Diebe sind nicht diejenigen, die man dafür hält«, behauptet sie unbeeindruckt.
»Das kann Ihnen ernsthafte Probleme machen.«
»Darum ist es ja so aufregend!«, ruft sie und zeigt mir ihre Tasche.
Ich mache große Augen: Sie ist voller Kosmetikprodukte, von denen sie sorgfältig den Strichcode entfernt hat.
Ich schüttle den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Verdienen Sie nicht genug?«
»Das hat nichts mit Geld zu tun. Das kommt einfach so, ein nicht zu unterdrückender Drang, zu stehlen, ein unkontrollierbarer Trieb.«
»Sie sind krank.«
»Allenfalls Kleptomanin.« Sie zuckt die Achseln. »Probieren Sie es mal aus. Das Risiko, der Adrenalinstoß. Es ist höchst amüsant.«
»Ich habe irgendwo gelesen, dass nach Ansicht der Psychologen Kleptomanie dazu dient, ein unerfülltes Sexualleben auszugleichen.«
Belustigt winkt sie ab. »Trivialpsychologie! Da sind Sie auf dem Holzweg.«
Zwischen den vielen Kosmetika entdecke ich ein altes, zerlesenes Taschenbuch, das mit Anmerkungen versehen ist. Die Liebe in den Zeiten der Cholera von Gabriel García Márquez.
»Mein Lieblingsroman«, rufe ich überrascht.
»Ich liebe dieses Buch auch!«
Für ein paar Minuten finden dieses seltsame Mädchen und ich endlich eine Gemeinsamkeit – ein Zustand von kurzer Dauer.
»Und was machen Sie heute Abend?«
»Weihnachten ist ein Familienfest. Ich fahre in einer Stunde mit dem Zug zu meinen Eltern und feiere mit ihnen in ihrem Haus in den Hamptons.«
»Wow, das klingt ja echt nach Fun.« Sie kichert. »Stellen Sie Ihren Schuh unter den Christbaum und reichen dem Weihnachtsmann eine Tasse warme Milch?«
Sie sieht mich verschmitzt an und lächelt frech, bevor sie erneut zum Angriff übergeht.
»Wollen Sie nicht Ihren Hemdkragen öffnen? Leute, die den obersten Knopf geschlossen haben, machen mir Angst.«
Ich seufze und verdrehe die Augen.
»Und Ihre Frisur, die gefällt mir auch nicht«, fährt sie fort. »Viel zu brav und akkurat. Langweilig!«
Sie fährt mir mit der Hand durchs Haar und zerzaust es.
»Und Ihre Weste! Hat Ihnen niemand gesagt, dass wir nicht mehr im Jahr 1930 leben? Warum dann nicht auch gleich noch eine Taschenuhr?«
Jetzt ist sie zu weit gegangen.
»Hören Sie, wenn ich Ihnen so sehr missfalle, sind Sie nicht verpflichtet zu bleiben!«
Sie trinkt ihr Glas aus und erhebt sich. »Sie haben recht. Aber ich habe Sie ja gewarnt, dass das keine gute Idee ist.«
»Genau. Ziehen Sie Ihr Batman-Cape an und verschwinden Sie! Ich verabscheue
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