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Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Titel: Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auch Dea brachte keinen Ton heraus. Die Stille der Landschaft erfüllte ihren Kopf bis zum Bersten mit etwas, das Angst zu sein schien, in Wahrheit aber viel mehr war als das – völlige, absolute Leere, ein Nicht-begreifen-Wollen dessen, was gerade geschehen war.
    Sehr behutsam löste Goten sie von seiner Brust.
    »Es ist fort. Was immer es war, es ist verschwunden.«
    Sie musste Tränen fortblinzeln, um sein Gesicht zu erkennen. Was sie sah, erschütterte sie bis ins Mark: Goten schien um Jahre gealtert. Dea fragte sich, ob es Eis war, das auf seinen Wangen schmolz, oder ob auch er weinte – um Männer, die ihn ohne Zögern erschlagen hätten und die doch einen Tod gestorben waren, den niemand auf der Welt verdient hatte.
    »Komm«, sagte er schließlich sanft und drückte sie noch einmal an sich. »Wir müssen gehen.«
    »Wohin?«, fragte sie mit einer Stimme, die schwach und kränklich klang, gar nicht mehr wie ihre eigene.
    Goten schaute durch die Bäume zum schwarzen Festungswall.
    »Zu Abakus«, sagte er. »Die Welt retten.«

Unter Hexen
    Der Schnee am Fuß des Festungswalls glich einem Schlachtfeld. Und doch deutete alles darauf hin, dass es keinen Kampf gegeben hatte. Keine Gegenwehr.
    Die Kreatur, die Abakus heraufbeschworen hatte, war fort. Dort, wo sie sich aus Eis und Erdreich geformt hatte, klaffte ein zerfurchter Krater im Boden. An seinem Grund hatte sich etwas gesammelt, das nur auf den ersten Blick wie gewöhnliches Wasser aussah; die Flüssigkeit war fester und glitzerte silbrig.
    »Wo … wo ist es?«, fragte Dea leise, während sie und Goten langsam das Schneefeld überquerten, geradewegs auf das Tor der Festung zu. Noch war niemand auf den Zinnen erschienen, aber beide zweifelten nicht, dass Abakus längst über ihre Ankunft Bescheid wusste.
    Goten deutete auf den glitzernden Schleim unten im Krater. »Das ist alles, was von dem Wesen übrig geblieben ist. Es wurde nur zu einem einzigen Zweck heraufbeschworen, und den hat es erfüllt.«
    Verstreut im Schnee gab es Spuren dessen, was die Bestie den Nordmännern angetan hatte. Dea bezweifelte, dass einem von ihnen die Flucht gelungen war.
    »Was erwartet uns da drinnen?«, fragte sie und deutete auf das hohe Tor der Festungsruine.
    »Das Böse«, erwiderte Goten knapp. Mehr nicht.
    Am Fuß des hohen Eichenportals blieben sie stehen. Die Doppelflügel waren geschlossen. Aus dem Inneren drang kein Laut ins Freie.
    Goten legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Zinnenkranz der Mauern empor.
    »Abakus!«, rief er, so laut er konnte.
    Eine Weile lang geschah nichts. Nur das Echo von Gotens eigener Stimme antwortete ihnen aus der Weite des Tals, hallte verzerrt von den Berghängen wider wie das verzweifelte Jammern ruheloser Geister.
    Ein hohes Kreischen ertönte, aber es war keine Stimme, sondern das Quietschen der mächtigen Torflügel. Unter lautem Knirschen schwang einer ein Stück weit nach innen. Der entstandene Spalt war dunkel und leer.
    Dea biss die Zähne zusammen und wollte eintreten, doch Goten legte ihr eine Hand auf die Schulter und hielt sie zurück. Mit einem angedeuteten Kopfschütteln gab er ihr zu verstehen, dass sie noch nicht hineingehen sollte – und schon gar nicht als Erste.
    »Abakus! «, brüllte er noch einmal an dem schwarzen Steinwall hinauf. »Ist dies vielleicht das herzliche Willkommen, das du mir versprochen hast? « Nach einer Pause fuhr er fort: »Erst zwingst du mich dazu, durch die Überreste dieser Barbaren zu stapfen, und dann höre ich nicht einmal ein freundliches Wort? «
    Die Schatten in dem dunklen Torspalt nahmen schlagartig Form an, als eine Gestalt in schwarzen Gewändern ins Freie trat und nur einen Schritt vor Dea und Goten stehen blieb.
    Dea fand, dass Abakus älter aussah als noch vor wenigen Tagen. Täuschte sie sich, oder ging er leicht vornübergebeugt? Tatsächlich wurde im selben Moment zwischen den Falten seines Gewandes ein Gehstock sichtbar, auf den er sich mit der Linken stützte.
    »Verzeih mir meine Unfreundlichkeit«, wandte er sich an Goten. Seine Stimme klang heiser. »Ich konnte nicht schneller hier sein. Die Treppen haben mir … Schwierigkeiten bereitet.«
    »Du siehst nicht gut aus«, sagte Goten freiheraus, ergriff Abakus’ Hand und schüttelte sie herzlich. Dea konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als sie die freundschaftliche Geste zwischen den beiden mit ansah. Abakus mochte noch so geschwächt wirken; sie konnte nicht vergessen, was er getan hatte – und auf welche

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