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Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Titel: Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nahe Wächter war viel zu verwirrt von Abakus’ sonderbarem Auftritt, als dass er die beiden Beobachter am Waldrand bemerkt hätte. Dea fürchtete ihn nicht, solange er in eine andere Richtung blickte.
    Goten atmete tief durch. »Das war kein misslungener Zauber«, wisperte er. »Vielleicht will er, dass die Nordmänner das glauben. Mag sein, dass er vorhatte, sie zu verwirren.«
    »Wenn Abakus so gefährlich ist, wie du sagst, gibt er sich doch wohl kaum mit ein paar Kunststücken zufrieden.«
    »Nein. Wahrscheinlich nicht.«
    Der Wächter löste sich vom Feuer und ging zu den übrigen Kriegern hinüber. Auch er wollte wissen, was dort oben geschehen war.
    Dea zitterte. Mit einem Mal begann sie, erbärmlich zu frieren. Der Wind, der von den schneebedeckten Berghängen in das enge Tal herabwehte, schien plötzlich kälter zu werden.
    Auch Goten hatte es bemerkt. »Spürst du das auch?«
    »Es ist kühler geworden.«
    Er nickte. »Aber so plötzlich?«
    Sie starrten einander an, und in beider Augen keimte Begreifen.
    Ihre Blicke flogen zurück in Richtung Festung. Einige der Nordlandkrieger hatten die Hände vor ihren Mündern zu Höhlen geformt und bliesen warmen Atem hinein; andere rieben sich frierend die Oberarme. Und das, obwohl sie Frost doch gewohnt sein mussten.
    »Dort, wo sie stehen, scheint es noch kälter zu sein als hier bei uns«, knurrte Goten. Die Worte nahmen als weißer Dunst vor seinem Gesicht Gestalt an.
    »Das, was Abakus zwischen seinen Händen hatte, sah doch aus wie … wie Hitze «, meinte Dea.
    »Glaubst du, er hat …«
    »Er hat der Luft den Rest von Wärme entzogen? Ja, das könnte sein.«
    »Aber warum?«
    Goten hob die Schultern. »Ich hab das ungute Gefühl, dass wir gleich die Antwort darauf bekommen werden.«
    Sie mussten nicht lange warten, bis sich seine Vermutung bestätigte. Doch als es so weit war, traf die Art und Weise, wie es geschah, sie dennoch vollkommen unvorbereitet.
    Die Stelle, an der die drei Dutzend Nordmänner beieinander standen, schien mit einem Mal so unerträglich kalt zu werden, dass die Krieger wie eine Herde erschrockener Schafe auseinander stoben. Lediglich zwei von ihnen, die im Zentrum der Gruppe gestanden hatten, rührten sich nicht von der Stelle. Ihre Felle und Panzer waren mit einer Eisschicht überzogen. Der eine versuchte noch, sich zu bewegen, und tatsächlich bekam die weiße Kruste an seinen Gelenken Risse – dann aber erstarrte er völlig und regte sich nicht mehr. Sogar seine Augen schienen zu gefrieren, denn sie hörten schlagartig auf, in ihren Höhlen zu zucken. Sein Gesicht verharrte in einer Grimasse grenzenloser Panik. Er sah jetzt aus wie eine barbarische Statue, die ein Künstler aus einem Eisblock gehauen hatte.
    Doch falls irgendwer geglaubt hatte, dass Abakus’ Zauber seine Gegner zu Eis gefrieren ließ, so sah er sich bald darauf getäuscht.
    Denn es kam noch schlimmer. Viel schlimmer.
    Ein Knirschen ertönte, als unter den beiden erstarrten Nordlandkriegern ein gezackter Riss durch den Schnee lief. Der Boden wölbte sich empor und öffnete sich entlang des zackigen Spalts. Doch was im ersten Moment aussah wie eine Öffnung im Erdreich, entpuppte sich als Schlund einer riesenhaften Bestie aus Eis und Schnee! Die Schneezacken wurden zu Fangzähnen, jeder so groß wie ein Kind, und aus dem dunklen Rachen wirbelte eine gewaltige Zunge aus funkelnden Eiskristallen, schlängelte sich um die beiden Männer und riss sie hinab in den Abgrund. Derweil wuchs die Wölbung im Boden immer höher, bis sie die Gestalt eines mächtigen Schädels annahm, gefolgt von einem monströsen Leib, aus dem Stacheln und Klingen aus Eis wucherten.
    Dea spürte, wie sie von Goten nach hinten gerissen wurde, tiefer zwischen die Bäume, fort von dem Inferno aus aufstiebenden Eiswolken, dem wahnsinnigen Kreischen der Kreatur und den Schreien der Nordlandkrieger.
    Die Bäume verdeckten Deas Sicht, aber sie musste nicht zusehen, um zu wissen, was geschah. Die Laute, die sie hörte, reichten aus, ihr Bilder der Tragödie vor Augen zu führen. Goten hielt sie fest in seinen Armen und blickte über ihre Schulter hinweg zurück zur Festung. Sie konnte fühlen, dass sein Körper starr und verkrampft war, wie versteinert vor Entsetzen über das, was Abakus mit einer einzigen Beschwörung in die Welt geboren hatte.
     

Irgendwann endeten die Geräusche. Ohnmacht legte sich über die Wälder und das Tal und die ausgebrannte Festung an ihrem Grund. Die Welt schwieg, und

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