Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
über die nackten Unterarme, suchte nach Zeichen, nach irgendetwas, das die sonderbare Bemerkung der Hexe bestätigt hätte. Doch sie entdeckte nichts. Haut wie jede andere. Ein Mädchen wie jedes andere.
Oder etwa nicht?
Zauberschule
Am Ende ihrer ersten Woche in der Festung des Arkanums machte Dea eine Entdeckung, die beinah noch merkwürdiger war als alles andere, was sie in den ersten Tagen unter den Fittichen der Hexen erlebt hatte.
Als sie an einem Morgen ihr Zimmer verließ, huschte vor ihr etwas mit rasselnden Lauten über den Gang. Es war so schnell wieder verschwunden, dass sie nicht erkennen konnte, um was es sich handelte. Fest stand aber, dass es ein Tier sein musste.
Für einen der grässlichen Hexenkater war es allerdings zu groß und massig; außerdem bewegten sich die Kater mucksmäuschenstill und liebten es, unerwartet vor oder hinter Dea aufzutauchen und sie zu erschrecken.
Nein, dies hier war keiner der sechs Kater gewesen.
Was aber war es dann?
Dea beschleunigte ihre Schritte. Neugierig erreichte sie die Ecke, hinter der das dunkle Rasselding verschwunden war. Der Gang, der hier abzweigte, war eine Sackgasse. Etwa zehn Schritte vor ihr endete er vor einer kahlen Steinwand. Auch hier hatte sich der Ruß der einstigen Flammenhölle tief in die poröse Oberfläche eingefressen. Die Türen rechts und links des Ganges waren geschlossen.
Es war dunkel hier, die vereinzelten Wandhalterungen für Fackeln waren nicht bestückt. Dea ging langsamer. Sie hatte in den vergangenen Tagen manches über die Gefährlichkeit der Hexen gelernt, und sie wollte nicht im Rachen eines ihrer missglückten Zauberexperimente enden.
Vor der Wand am Ende des Ganges kauerte etwas. Es war schwarz, wie beinahe alles hier, und es schimmerte leicht, so als wäre es aus poliertem Leder. Es schien ungefähr so groß zu sein wie ein junger Hund, war aber vollkommen anders gebaut. Da waren viel zu viele Beine, und es hatte keine sichtbaren Augen.
Dea hätte Angst haben müssen. Noch vor ein paar Wochen – ach was, Tagen – wäre sie wohl schreiend davongelaufen. Doch etwas rührte sie an dem seltsamen Insekt. Zum einen, dass es mehr Furcht vor Dea zu haben schien als sie vor ihm. Zum Zweiten die verstörte Kauerstellung, die es am Fuß der Mauer eingenommen hatte. Augenscheinlich befürchtete es tatsächlich, Dea wolle ihm etwas Böses.
»Wer bist du denn?«, fragte sie sanft und ging in einigem Abstand in die Hocke.
Natürlich gab das Tier keine Antwort, nur seine ledrigen Hautplatten schabten leicht aneinander. Zwei fingerlange Fühler zitterten und bebten, vielleicht, weil sie Witterung aufnahmen, vielleicht auch aus Angst.
»Du siehst aus wie eine Laus«, stellte Dea stirnrunzelnd fest. In Giebelstein hatte es zahllose Läuseplagen gegeben, und jeder dort kannte die winzigen Quälgeister.
Läuse trinken Blut, schoss es ihr durch den Kopf. Aber irgendetwas sagte ihr, dass das Tier vor ihr es nicht darauf abgesehen hatte, sie anzugreifen. Die offensichtliche Verwirrung der Riesenlaus berührte Dea zutiefst. Sie hatte ihren Vater seit Tagen nicht mehr gesehen – er hielt sich nur noch bei Abakus auf –, und so war sie dankbar für jede Ablenkung vom Unterricht Morgwens.
»Ich tu dir nichts«, sagte sie leise.
Die Laus erbebte.
»Nein, wirklich nicht.« Dea machte in der Hocke einen Entenschritt auf das Rieseninsekt zu. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, berührte den ledrigen Panzer. Das Tier zuckte erschrocken zurück.
»Glaub mir, ich krümm dir kein Haar … na ja, keinen Fühler, von mir aus. Wieso bist du so ängstlich? Haben die Hexen dir das angetan? Oder Abakus? Haben sie dich gejagt?«
Natürlich erwartete sie nicht wirklich eine Antwort von dem Tier. Nur weil es unnatürlich groß war, musste es nicht sprechen können wie ein Mensch. Lediglich das leise Rasseln ertönte aus dem Inneren des Insektenpanzers.
Plötzlich ertönte von hinten ein Ruf:
»Dea?«
Sie atmete tief durch und drehte sich um. Es war Morgwens Stimme gewesen, aber noch war die Hexe nicht am Ende des Ganges aufgetaucht. Keine Panik.
»Psst«, flüsterte Dea der zitternden Laus zu, »ich verrate dich nicht. Versteck dich einfach irgendwo, wo sie dich nicht finden können. Ich muss jetzt gehen.«
Damit lächelte sie der Laus noch einmal zu, dann stand sie auf und lief eilig zurück zu ihrem Zimmer. Das Rieseninsekt blieb im Schatten zurück und rasselte leise.
Morgwen stand vor Deas Zimmertür und hatte beide Hände
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