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Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters

Titel: Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schlanke Gestalten, schwarze Scherenschnitte vor dem hellen Rechteck des Himmels, standen unter dem Torbogen. Langes Haar tanzte auf Windböen wie zuckende Schlangenleiber. Zwei der Frauen trugen Handtaschen.
    Etwas schoss an den Kindern vorüber und hinterließ eine Rauchspur. Die Hexe, die keine Tasche trug, fing ihren verletzten Fisch auf, streichelte ihn wie ein Neugeborenes.
    »Was haben sie dir angetan«, wisperte sie leise. Und dann, schlagartig, brüllte sie so laut, dass Staub vom Dachgebälk rieselte: » Was haben diese grässlichen Bälger dir nur angetan? «
    Eine der beiden anderen Hexen hielt ihre zornige Gefährtin zurück, sonst hätte die sich wohl gleich auf die drei Kinder gestürzt und ihnen den Garaus gemacht.
    Die dritte Hexe trat vor, bis die Freunde erkennen konnten, wie umwerfend schön sie war. So sahen doch keine bösen Hexen aus! Aber gerade ihre Schönheit und Anmut waren eine der gefährlichsten Waffen dieser Wesen.
    Die Hexe öffnete ihre Handtasche. Ein Fisch erhob sich aus dem Dunkel, sauste auf die Kinder zu und verharrte vor ihren Gesichtern. Bedrohlich wie ein Kettenhund schnappte er mit seinen schrecklichen Kiefern, kam aber nicht näher.
    »Ihr hättet nicht herkommen sollen«, sagte die Hexe und lächelte betörend. »Nein, dass hättet ihr wirklich nicht.«
    Nils fasste sich ein Herz. »Wir … wir könnten so tun, als wären wir nie hier gewesen«, schlug er mit schwacher Stimme vor. »Wir gehen einfach durch diese Tür und …«
    »Oh, so ein süßer kleiner Bengel«, hauchte die Hexe in einem Tonfall, als würde sie im Fernsehen Werbung für Hautcreme machen. Sie trat noch einen weiteren Schritt auf Nils zu und stupste zärtlich mit dem Zeigefinger an seine Nasenspitze. Ihr Fliegender Fisch biss vor Eifersucht in leere Luft.
    Die Stimme der Hexe war voller Sanftmut.
    »Wie schade, kleiner Junge, dass du und deine Freundinnen die nächste Stunde nicht überleben werdet.«
     
    Die Gefangene im Glockenturm
    Chris, der sehr stolz auf seinen vollen Namen Chrysostomus war, schaute vorsichtig über den Rand der Friedhofsmauer. Gerade wurde das hohe Doppeltor der Kirche von innen zugeworfen. Die drei unheimlichen Frauen waren im Inneren verschwunden.
    Und unheimlich waren sie in der Tat. Zunächst hätte Chris gar nicht zu sagen vermocht, was genau es war, das ihm an ihnen solche Angst einjagte. Alle drei waren wunderschön, gar keine Frage. Die schönsten Geschöpfe, die er je gesehen hatte. Und doch … Da war etwas, fast wie ein schlechter Geruch, eine böse Aura, die von ihnen ausging.
    Als er beobachtet hatte, wie die Frauen den Kirchhügel hinaufkamen, hatte Chris das Gefühl gehabt, der Wind treibe winzige Glasscherben gegen seine Haut. Es tat weh, diese Frauen nur anzuschauen. Dann waren ihm die hässlichen Handtaschen aufgefallen, die zwei der Frauen trugen. Plötzlich hatte eine von ihnen ihre Tasche geöffnet und zum Himmel empor gehalten. Ein silbernes Etwas war zwischen den Bäumen hervorgeschossen gekommen und direkt in der Handtasche gelandet. Er fröstelte: die Fliegenden Fische von heute Morgen.
    Chris wusste, dass Kyra und ihre beiden Freunde in der Kirche waren. Er war ihnen heimlich aus dem Dorf hierher gefolgt. Chris war neugierig gewesen, und er hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Er kannte noch niemanden in Giebelstein, und Kyra hatte Recht gehabt: Es hätte schlimmer kommen können, als ausgerechnet ihr als Erster zu begegnen – auch wenn er sich natürlich hüten würde, das zuzugeben. Mädchen konnten ja so eingebildet sein!
    Dass die drei jetzt mit den sonderbaren Fischfrauen allein in der Kirche waren, bereitete ihm Sorge. Überirdische Schönheiten, die in ihren Handtaschen Tiefseefische mit Flughäuten aufbewahrten, waren sogar hier auf dem Land ein wenig … nun ja, unüblich. Und er musste sich eingestehen, dass er selbst jetzt noch am ganzen Körper eine Gänsehaut hatte.
    Geschickt kletterte er auf die andere Seite der Mauer und rannte geduckt über den Friedhof. Die hohen Grabsteine, Obelisken und Standbilder wirkten bedrohlich, selbst bei Tageslicht. Dieser Gottesacker hatte wenig gemein mit den gepflegten Anlagen, die Chris aus anderen Städten kannte. Wie beinahe alles in Giebelstein wirkte auch dieser Ort alt und unheimlich, so, als versetze er einen direkt in eine frühere, finsterere Zeit.
    Chris erreichte das Tor und horchte. Im Inneren erklangen Stimmen, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Einmal glaubte er, Kyra

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