Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
perlte, schimmerte ihr wahres Wesen durch ihre menschliche Maskerade. Schwarze Hornpanzer blitzten auf, verschwammen mit magischem Fleisch und wurden wieder unsichtbar. Unter weißblondem Haar grinsten grausame Fratzen, bis der letzte Rest Wasser von ihnen abgefallen war und die Gesichter zu den Zügen atemberaubend schöner Frauen wurden.
»Okay«, sagte Kyra, »ich hab’s.« Es gefiel ihr nicht, dass die Frau allein mit den Wassergeistern kämpfen wollte, aber im Augenblick hatte sie keine andere Wahl, als zu gehorchen.
»Gut«, sagte die Hexe. »Konzentration – und …«
Der Rest ihrer Worte verhallte zu einem unverständlichen Echo, als die Welt rund um Kyra schlagartig in Finsternis versank und alle Geräusche sich zu lang gestreckten Lauten, zu Folgen von Lauten, zu Melodien verzerrten. Dann verklangen auch diese, und die Dunkelheit gewann an Stofflichkeit, wurde fühlbar, weich und kühl wie etwas, das sich gegen Kyras Gesicht presste.
Weich wie ein Kopfkissen, fand sie.
Sie hob den Kopf und stellte fest, dass sie tatsächlich in einem Bett lag, oben in einem der kleinen Schlafzimmer von Rose Cottage. Die Wände waren in einem hellen Grün gestrichen, und auch der Geruch stimmte überein. Die Frau hatte sie allein anhand ihrer Erinnerung zurückgeschickt, wie ein Flugzeug, das auf einem unsichtbaren Leitstrahl sein Ziel erreicht. Und das alles innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Kyra sprang auf. Sie hatte das Gefühl, irgendetwas unternehmen zu müssen. Die Frau war dort draußen am Dozmary Pool ganz auf sich gestellt. Sicher, sie war vorhin erst mit sechs Nymphen fertig geworden. Doch gerade eben waren mindestens zehn weitere aus dem Wasser gestiegen. Und was, wenn Morgana einfiel, selbst in Erscheinung zu treten? War die Frau einem Kampf gegen Wassergeister und deren Herrin gewachsen?
Aber Kyra wusste auch, dass sie hilflos war. Sie stand kaum auf den Beinen, da überkam sie schon eine solche Benommenheit, dass sie erschöpft zurück auf die Bettkante sank. Trotzdem – sie musste sich überwinden, musste jetzt stark sein.
Sie hatte ihren Reisewecker noch nicht ausgepackt, deshalb konnte sie nicht nachsehen, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das Haus verlassen hatte. Ob ihr Vater schon wieder daheim war? Jetzt würde er ihr zuhören müssen.
Sie stand abermals auf, und obwohl ihr weiterhin schwummerig und übel war, schleppte sie sich hinüber ins Schlafzimmer des Professors. Er lag in voller Montur auf dem Bett und schlief – sogar seinen Schlapphut hatte er noch auf. Er musste so erschöpft gewesen sein, dass er nicht mehr in Kyras Zimmer geschaut hatte, um Gute Nacht zu sagen. Das nahm sie ihm ziemlich übel.
Kyra, hallte plötzlich eine bekannte Stimme durch ihre Gedanken. Kyra, du darfst ihm nicht böse sein. Es ist meine Schuld. Ich habe einen Schlafzauber über ihn verhängt, damit er sich keine Sorgen um dich macht.
»Wo sind Sie?«, fragte sie laut, aber die Frau gab keine Antwort mehr.
Hoffentlich geschieht ihr nichts, dachte Kyra verzweifelt. Sie hatte noch nie zuvor ein so übermächtiges Gefühl der Nähe zu jemand völlig Fremdem verspürt. Nicht einmal zu Chris, den sie von der ersten Minute an gern gehabt hatte. Vermutlich hatte das damit zu tun, dass sie sich von der Frau Antworten auf all ihre Fragen erhoffte. Noch nie war sie der Wahrheit so nahe gekommen, davon war sie mittlerweile überzeugt.
Sie konnte jetzt nicht einfach hier bleiben und abwarten, was weiter geschah. Sie musste etwas tun, irgendetwas, und wenn sie auf eigene Faust versuchte, mehr über die Hintergründe dieses ganzen Tohuwabohus zu erfahren.
Ihr Blick fiel auf die hölzerne Bücherkiste ihres Vaters. Ganz gleich, wohin er reiste, er hatte sie immer dabei. Darin bewahrte er einige der ältesten und wertvollsten Nachschlagewerke über die Mächte des Übernatürlichen auf.
Kyra gab dem schnarchenden Professor einen sanften Kuss auf die stoppelige Wange, dann begann sie, mit beiden Händen in der Kiste zu wühlen. Sie fand schnell, wonach sie suchte.
Aufgeregt blätterte sie zwischen den ledergebundenen Buchdeckeln, bis sie auf einen Eintrag stieß, der viel versprechend klang.
Morgana, stand dort, auch genannt Morgan Le Fey, Königin der Feen, Erste unter den Hexen, Grausamste unter den Zauberinnen.
Kyra holte tief Luft, dann begann sie zu lesen.
Die Belagerung
Kyra stöberte mehrere Stunden in dem dickleibigen Buch. Immer wieder stieß sie auf neue Querverweise, die sie zu verwandten Themen,
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