Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
es ihr gut ging? Warum aber meldete sie sich dann nicht wieder als Stimme in Kyras Kopf, so wie vorhin? Nun, möglich, dass sie nach dem Kampf mit den Nymphen zu erschöpft war. Vielleicht war es einfacher, solch ein Bild in einem Spiegel zu erzeugen. Wieder einmal wurde Kyra schmerzlich bewusst, wie wenig sie doch über die Kunst der Zauberei wusste.
Die andere Hälfte des Spiegels zeigte eine felsige Bucht, an deren Grund mehrere helle Häuser standen, alte, gedrungene Bauwerke, manche mit reetgedeckten Dächern. Kyra rätselte erst eine Weile – das fahle Mondlicht verfremdete die Szene –, dann erkannte sie das Hexenmuseum von Boscastle. Natürlich, dies war der Ort, an dem sie der rätselhaften Frau zum ersten Mal begegnet war!
War das Bild im Spiegel eine Aufforderung, dorthin zu kommen? Wollte sich die Frau im Museum mit ihr treffen? Aber warum kam sie dann nicht einfach hierher?
Und was, wenn das Ganze eine List Morganas war? Wenn sie Kyras Retterin besiegt hatte? Aber nein, dann hätte sie ihre Kreaturen nach Tintagel schicken und Kyra erneut entführen können. Es bestand kein Grund, sie von hier fortzulocken.
Kyra eilte zum Telefon und fand daneben eine Liste mit Nummern. Darunter war auch die eines Taxiunternehmens. Es dauerte eine Weile, die schläfrige Frau am anderen Ende der Leitung zu überzeugen, dass Kyra nicht irgendein Kind war, das sich mitten in der Nacht einen Scherz erlaubte. Ja, sagte Kyra, sie brauche dieses Taxi tatsächlich, und zwar so schnell wie möglich.
Nachdem sie aufgelegt hatte, holte sie erst einmal erleichtert Luft – im Englischunterricht war sie bislang eher eine durchschnittliche Schülerin gewesen, und umso stolzer war sie nun, dass sie sich recht gut verständigen konnte.
Das Taxi kam zehn Minuten später. Sie zahlte im Voraus mit Geld aus der Jacke ihres Vaters, dann rasten sie davon in Richtung Boscastle.
Die dunkle Küstenstraße war verlassen, kein anderes Auto fuhr hier so tief in der Nacht. Der Fahrer knurrte etwas über ungewöhnlich starken Seitenwind, der vom Meer heranwehe, und das, obwohl die Nacht doch sternklar sei.
Kyra starrte nachdenklich vor sich hin. Sie dachte über das nach, was die Frau über die Entstehung der Drei Mütter gesagt hatte. Schatten waren sie ursprünglich gewesen, die Schatten dreier mächtiger Zauberköniginnen. Zumindest eine von ihnen – Nimue, die Dame vom See – war kein böses Geschöpf, und doch hatte ihr Schatten sich zur Dunkelheit gewandt, war verschlagen und niederträchtig geworden. Bedeutete dies, dass alles, was gut war, sich auf irgendeine Weise auch zum Bösen wenden konnte? Und könnte das sogar ihr selbst, Kyra, passieren? Der Gedanke machte ihr solche Angst, dass sie ihn gleich wieder abschüttelte.
Als sie aus dem Fenster schaute, entdeckte sie auf einer mondbeschienenen Wiese eine weiße Gestalt, ganz kurz nur, dann war das Taxi daran vorbei. Morganas Kreaturen wussten, wohin Kyra unterwegs war.
In der Ferne glaubte sie das Bellen und Heulen wilder Hunde zu hören, wie von einem Wolfsrudel. Bei diesen Lauten wurde ihr noch unheimlicher zu Mute.
»Wie lange noch?«, fragte sie den schweigsamen Taxifahrer.
»Paar Minuten«, erwiderte er knapp.
Kyra beobachtete ihn vom Rücksitz aus und fand, dass er sonderbar aussah. Er hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf, und seine Haut war sehr weiß und im Nacken von dunklen Adern durchzogen. Schon vermutete Kyra auch in ihm einen Diener der Zauberin, als sie abrupt in den Weg einbogen, der von der Landstraße zum Museum führte. Wenig später setzte der Fahrer sie ab, wünschte ihr brummig eine gute Nacht und fuhr davon.
Die Tür des Museums war um diese Uhrzeit geschlossen, doch als Kyra sich ihr näherte, schwang sie wie von Geisterhand auf.
»Hallo?«, fragte sie argwöhnisch ins Dunkel.
»Kyra, komm rein«, hörte sie die Stimme der Frau, aber sie klang geschwächt, und ihre Besitzerin zeigte sich nirgends.
Kyra ging zögernd auf den Eingang zu und meinte in den Schatten eine Bewegung zu erkennen. Eine schlanke Gestalt stand in der Finsternis.
»Warum kommen Sie nicht raus?«, wollte Kyra wissen.
»Hier drinnen ist es sicherer. Beeil dich!«
Kyra war noch immer nicht überzeugt, dass sie keiner List aufgesessen war, doch sagte sie sich, dass sie jetzt ohnehin nicht mehr fliehen konnte. Das Taxi war fort, sie stand ganz allein vor dem Haus.
»Okay«, sagte sie und betrat das Museum.
Rumms! Hinter ihr schlug die Tür zu.
Die Frau trat aus den
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