Sieben Siegel 09 - Tor zwischen den Welten
Schatten und lächelte schwach. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Lippen waren aufgesprungen wie bei jemandem, der zu lange ohne Wasser in der Wüste unterwegs war.
»Du vertraust mir endlich«, sagte sie. »Das ist gut.«
Kyra sah sie groß an. »Sie sind nicht rausgekommen, weil Sie wissen wollten, ob ich Ihnen traue?«
»Auch das, ja. Aber der wichtigste Grund ist, dass es dort draußen jeden Moment von Morganas Dienern wimmeln wird. Hier drinnen sind wir sicher.«
»Warum?«
»Weil dies ein Hexenmuseum ist, natürlich. In diesen Mauern werden Dinge aufbewahrt, die Macht besitzen, große Macht. Neben all den Imitationen gibt es hier einige Gegenstände, die tatsächlich aus alter Zeit stammen, als die Zauberei noch sehr viel verbreiteter war als heute. Vieles, was in der Ausstellung zu sehen ist, wurde einst bei magischen Ritualen verwandt. All das gibt dem Gebäude eine magische Aura, die Morganas Nymphen nicht so einfach durchschreiten können – zumindest nicht, solange ich hier bin und diese Macht für mich nutze.«
»Deshalb wollten Sie, dass wir uns hier treffen!«
Die Frau nickte. »Ich hätte dich gleich im Cottage abgeholt, aber der Kampf am Dozmary Pool hat mich mehr geschwächt, als ich für möglich gehalten hatte. Es war schon mühsam genug, auf dem schnellsten Weg hierher zu kommen. Aber wenigstens hast du meine Nachricht erhalten.«
»Vom Taxi aus habe ich eine der Nymphen gesehen.«
»Ja, sie sind überall in den Hügeln. Ich kann sie spüren. Du nicht?«
Kyra überlegte und horchte in ihr Inneres. Aber sie war viel zu aufgeregt, um irgendetwas Ungewöhnliches zu entdecken.
Die Frau nahm ihre Hand. »Achte auf deinen Herzschlag. Geht er nicht schneller?«
»Weil ich nervös bin.«
»Nicht nur deshalb. Dein Herz spürt die Nähe schwarzer Magie. Das geht allen Hexen so.«
»Aber ich bin keine Hexe!«, protestierte Kyra erneut.
»Du wirst schon bald eine sein. Ich war in etwa so alt wie du heute, als meine Ausbildung begann. Aber das ist lange her – viele hundert Jahre.«
Kyra betrachtete die Frau von oben bis unten.
»Sie sehen nicht älter aus als Anfang zwanzig.«
Die Mundwinkel der Frau verzogen sich zu einem sanften Lächeln. Kyra hatte den Eindruck, dass ihre Lippen bereits heilten, so schnell, dass man mit bloßem Auge zusehen konnte. »Ich war in deinem Alter, als ich unsterblich wurde, aber es hat ein paar Jahre gedauert, ehe sich mein Körper auf diese Veränderung eingestellt hat. Ich musste erwachsen werden, um es mit meinen Gegnern aufnehmen zu können – dafür haben jene gesorgt, die den Fluch des ewigen Lebens über mich verhängten. Äußerlich bin ich nur ein wenig über zwanzig … aber das bereits seit über tausend Jahren.«
» Tausend … « Kyra brach erschüttert ab.
»Ja, Kyra, das ist die Wahrheit. Du wolltest sie doch hören, oder? Ich bin tatsächlich mehr als tausend Jahre alt, und, glaub mir, ich bin nach all der Zeit entsetzlich müde. Ich bekämpfe das Arkanum seit der ersten Jahrtausendwende, seit die Hexen mich zu einer der ihren machten und ich mich gegen sie wandte. Ich bin dem finsteren Abakus begegnet, dem Gründer des Arkanums, und ich war dabei, als er versucht hat, die Macht über das neue Millennium an sich zu reißen, damals im Jahre 999.« Ihr Blick fächerte durch die Dunkelheit im Eingangsbereich des Museums, so als suche sie nach etwas. Dann aber seufzte sie und sagte: »Hier drinnen sind wir vorerst sicher. Ich kann dir also endlich meinen Namen verraten, wenn du magst.«
»Natürlich!«
Die Frau strich sich beinahe verschämt über ihre roten Locken. »Ich heiße Dea.«
Etwas in Kyras Gedanken klickte. Sie kannte diesen Namen. Sie erinnerte sich genau an das uralte Buch aus dem Giebelsteiner Stadtarchiv, das der Archivar, Herr Fleck, dort entdeckt hatte. Darin berichtete eine Frau namens Dea von ihrem Kampf gegen Hexen und Dämonen, unter anderem gegen Boralus, den Leichengott, der vor gar nicht langer Zeit ein Heer lebender Vogelscheuchen gegen Giebelstein mobilisiert hatte.
Konnte dies dieselbe Dea gewesen sein, die jetzt vor ihr stand? Und warum waren Herr Fleck und Tante Kassandra so erpicht darauf gewesen, Kyra das Buch wieder abzunehmen, damit sie nicht länger als nötig darin herumstöberte?
Eine Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass sie noch immer nicht bis zum Grunde aller Geheimnisse vorgedrungen war. Es gab viel mehr zu erfahren, viel mehr zu entdecken.
Doch bevor sie weitere Fragen stellen
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