Siebenpfahl (German Edition)
ist ein armer Kerl und lebt
größtenteils im Wald. Immer wenn Markt ist, schleicht er hier umher und hofft etwas
Essbares auf dem Boden zu finden. Er tut niemandem etwas und spricht fast nie
ein Wort. Also lass ihn in Ruhe und verspotte ihn nicht!«
Christopher dachte über Margrets Worte nach. »Wieso lebt er im
Wald? Wieso fragt er nicht, ob ihm die Stadt eine Unterkunft zur Verfügung stellt?«
Margret lachte auf. »Warum sollte ihm die Stadt eine Unterkunft
geben, wenn er doch kein Einkommen hat, um sie bezahlen zu können?«
»Aber man kann ihn doch nicht einfach im Wald sich selbst überlassen!«,
zeigte sich Christopher hartnäckig.
»Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muss sich um Arbeit
bemühen. So ist das Leben nun mal.« Margret konnte nicht nachvollziehen, was
Christopher da verlangte. Wortlos gingen sie weiter.
Für Christopher war das Thema Rufus jedoch noch nicht beendet. Er
wollte Margret später nochmals darauf ansprechen. Nach seinem ersten und
abwertenden Urteil über den Mann tat dieser ihm nun leid.
Mittlerweile waren sie am unteren Burgtor angelangt. Sie mussten
warten, weil gerade eine Kutsche von der anderen Seite hindurchfuhr und der
Mann auf dem Kutschbock seine liebe Mühe mit dem störrischen Pferd hatte. »Was
ist mit deinem Pferd los, Oskar?«, rief einer der Männer, die bereits vor dem
Tor warteten. »Es ist doch sonst nicht so ängstlich.«
»Was weiß ich?«, rief der zurück. Dann ließ er die Zügel auf den
Rücken das Tieres krachen und schnalzte dabei mit der Zunge. Das Tier setzte
sich widerwillig in Bewegung und gab den Weg durch das Tor frei.
Sie gingen weiter, nur Tom blieb stehen. Er betrachtete das vorbeifahrende
Gefährt etwas genauer. Es knirschte und ächzte vor sich hin. Das Holz sah
verwittert aus. Hinten auf der Ladefläche stand ein aus dünnen Ästen
geflochtener Käfig, in dem sich drei Gänse befanden. Ein kleiner Junge saß
daneben, der Tom anlächelte und dabei in ein trockenes Stück Brot biss.
Margret drehte sich um. »Na los!« winkte sie Tom herbei. »Komm
schon, sonst verlieren wir dich noch.«
Als Tom zu den anderen aufgeschlossen hatte, erklärte ihm Margret,
dass der Bauer einmal pro Woche auf die Burg kam, um Gänse zu verkaufen.
In der Unterkunft angekommen, nahmen sie auf dem strohbedeckten
Boden Platz. Sie waren seit einigen Stunden auf den Beinen und benötigten etwas
Ruhe.
»Wie hat es euch gefallen?«, fragte Conrad.
»War ganz gut, bis auf eine Sache«, antwortete Christopher.
»Und das wäre?«, hakte Conrad nach.
»Ich kann es absolut nicht fassen, dass Menschen, so wie dieser
Rufus, einfach in den Wald geschickt und sich selbst überlassen werden.«
Christopher machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihm diese Tatsache zusetzte.
»Ich habe dir doch bereits erklärt, dass er keine Arbeit hat!«, schüttelte
Margret verständnislos den Kopf.
»Wie … der lebt im Wald?«, fragte Pascal. »Von wem redet ihr
eigentlich?«
Margret erzählte den Jungen von Rufus, wobei sich die Freunde
immer wieder kurze Blicke zuwarfen. »Wenn ich ehrlich bin«, warf Marcel ein, »kann
ich das auch nicht so ganz glauben. Man schickt doch keine Leute zum Leben in
den Wald.«
Margret verzog den Mund, »Es hat ihn auch gar keiner dorthin
geschickt. Er kann doch weiterziehen und anderswo nach Arbeit suchen.«
»Die Leute sterben also, wenn sie im Winter nichts Essbares finden?«,
hakte Leon nach.
»Das kommt vor«, antwortete Conrad.
»Das ist doch unglaublich!«, schüttelte Tom den Kopf. »Unfassbar.«
»Wenn ein Mann keine Arbeit hat, so muss er eben von Stadt zu Stadt
ziehen und sich welche suchen«, versuchte ihn Conrad aufzuklären. »Sie bekommen
zwar für eine Nacht Essen und Schlafplätze in der Kirche zugestanden, aber am
nächsten Tag müssen sie weiter. So sind sie gezwungen, Arbeit zu finden und
sich nicht einfach auf Kosten anderer zu ernähren. Was ist daran so schlimm?«
Marcel hob den Zeigefinger. »Bei uns bekommen die Leute, die keine
Arbeit haben, eine Wohnung, Essen, Kleidung und alles sonst, was man zum Leben
benötigt, vom Staat gestellt. Da muss niemand verhungern.«
»Wirklich?«, zeigte sich Conrad überrascht. »Das bedeutet, dass
man nichts tun braucht, aber alles bekommt?«
»Naja, alles ist wohl schon stark übertrieben«, warf Pascal
ein.
»Ich wüsste nicht, was man außer den Dingen, die Marcel soeben
aufgezählt hat, sonst noch brauchen könnte«, entgegnete Conrad und sah seine
Frau fragend
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