Siebenpfahl (German Edition)
empor und durch den Gang hinaus
in den Empfangsraum. Dort blieben sie stehen und beratschlagten, wohin sie
flüchten sollten. »Wir rennen nach draußen und verstecken uns irgendwo auf der
Burg. Im Dunkeln finden sie uns nicht so schnell und wir können unsere
Positionen ständig wechseln«, schlug Marcel vor.
Leon nickte geistesabwesend, er hatte das Gefühl, unter Schock zu
stehen.
Als die Tür aufflog, erschrak der Wachmann. Sie schlug ihm schwer
gegen die linke Schulter, sodass er zu Boden geworfen wurde. »Halt,
stehenbleiben!«, schrie er, doch die Jungen rannten unbeirrt weiter. Beide hatten
ihre Taschenlampe eingeschaltet und folgten dem Lichtkegel. Als sie zwischen
zwei Gebäuden angekommen waren, schalteten sie die Lampen aus und verharrten.
»Es wird eine Weile dauern, bis sie genug Leute mit Fackeln zusammen haben. Wir
holen das Seil aus dem Heuschuppen und seilen uns an der Burgmauer ab«, schlug
Marcel vor … dann rannten sie weiter.
Im Heuschuppen angelangt, mussten sie verschnaufen. Ihr Atem ging
schnell und ihre Körper zitterten. Plötzlich hörten sie Schritte draußen auf
dem Hof. Sie blickten durch die Bretterschlitze des Tores hindurch und sahen
Männer mit Fackeln über den Hof laufen. »Hol bitte das Seil«, bat Marcel. »Ich
pass weiter auf.«
Leon kletterte nach oben, warf das Seil herunter und stieg die
Leiter wieder herab. »Wie sieht’s aus?», flüsterte er Marcel zu.
»Schlecht sieht’s aus, da wimmelt es von Wachmännern. Es ist nur eine
Frage der Zeit, bis sie uns schnappen.«
Leon war geschockt. »Es ist alles schiefgelaufen, wir sitzen hier
in der Falle und haben auch das Notizbuch von Siebenpfahl noch nicht!«
Marcel schloss die Augen. »Verdammt! An das Buch hatte ich gar
nicht mehr gedacht.«
Die Freunde standen da und überlegten: Machte es überhaupt noch einen
Sinn, weiterzukämpfen? Alles hatte sich gegen sie verschworen und sie konnten nicht
fassen, dass nun alles verloren sein sollte. Doch Marcel wollte nicht einfach
aufgeben und legte Leon die Hand auf die Schulter. »Es lohnt sich immer zu
kämpfen, egal, wie aussichtslos es auch zu sein scheint.«
Leon schaute herum. »Du hast recht, wir sind es auch den anderen schuldig,
alles zu versuchen.«
Einen Moment verharrten sie noch, dann öffnete Marcel vorsichtig
das Tor. Gerade wollte er hinausschleichen, als ihn Leon an der Schulter festhielt.
»Halt, sieh mal zurück nach oben.«
Marcel drehte sich um und blickte umher, da konnte auch er sehen,
was Leon entdeckt hatte. Ganz oben schimmerten Sterne hindurch. Er zog die Tür
wieder zu, holte seine Taschenlampe hervor und leuchtete hinauf. Oben im Giebel
war eine Öffnung zu sehen. Es handelte sich um eine kleine Tür, über der eine Winde
angebracht war. Marcel ließ den Lichtschein der Lampe von dem Türchen weg den Steg
entlang wandern, an den sich eine Leiter anschloss. Als er die Leiter hinableuchtete,
endete diese auf der Empore, auf der sie sich bis Einbruch der Dunkelheit versteckt
hatten.
»Wir gehen dort hoch und sehen nach, wie es hinter der Öffnung weitergeht«,
schlug Leon vor.
»Gute Idee!«, lobte Marcel. »Beeilen wir uns.«
Als sie zu der kleinen Öffnung hinausblickten, eröffnete sich
ihnen nichts als Dunkelheit. Marcel leuchtete mit seiner Taschenlampe hinab und
fast hätte es ihnen die Sprache verschlagen: Der Lichtstrahl fraß sich an der
Burgaußenmauer hinunter bis auf einen Weg, der entlang der Burg führte. Drei
Seiten der Burg grenzten zum Wald hin, diese Seite jedoch grenzte an das in
einiger Entfernung liegende Dorf, in das auch der Weg führte, der unter ihnen
lag. »Ist das hoch«, zeigte sich Leon besorgt.
»Hoch ist gar kein Ausdruck!«, entgegnete Marcel geschockt. »Mir
wird allein schon vom Gedanken schlecht.«
»Haben wir eine andere Möglichkeit?«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Marcel und sah sich die Winde an. Er
wackelte und rüttelte an ihr, und als er sich überzeugt hatte, dass sie stabil
genug war, um sich daran herunterzulassen, nahm er das Seil und führte es durch
das Loch in der Holzrolle. Er machte einen Knoten, wickelte es einige Male um
die Rolle und warf dann das Seil hinunter. Mit der Taschenlampe leuchtete er
hinterher und stellte erleichtert fest, dass es ausreichte. »Ich gehe vor«,
entschied Marcel und bekreuzigte sich. Er begann sich am Seil herunter zu hangeln,
doch da ihn seine Angst zu übergroßer Vorsicht verleitete, kam er nur langsam
voran. Während Marcel sich abseilte, blickte Leon
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