Siebenpfahl (German Edition)
bin … habe ich schreckliche Angst«, gab Leon zu.
»Glaubst du vielleicht, ich nicht?«, erwiderte Marcel. Er war
nervös: Sie befanden sich in einem stockdunklen Schuppen, inmitten einer Burg,
die sie noch nie zuvor betreten hatten. Sie sollten Leute belauschen, von denen
sie nicht einmal wussten, wo diese sich überhaupt befanden. Marcel schluckte
schwer, »Ich weiß zwar nicht, wohin, aber lass uns nun endlich gehen.«
Schnell stiegen sie die Leiter hinab.
Nachdem sie eine Weile am Scheunentor gelauscht hatten, versuchte Marcel
es zu öffnen, hielt jedoch sofort inne – ein verräterisches Knarren war zu
hören. »Mist!«, fluchte er leise. »Das fängt ja gut an!« Er hob das Tor etwas
an und versuchte es erneut – diesmal klappte es.
Sie schlüpften durch den engen Spalt hinaus auf den Burghof. Es war
absolut ruhig, kein Laut war zu hören. Die Stille wirkte beängstigend und
ungewöhnlich. Aufgrund des leicht erhellten Nachthimmels hinter den gegenüberliegenden
Burggemäuern, vermuteten sie den Mond direkt dahinter, doch zu sehen war er
nicht. Das Gemäuer ragte wie eine schwarze Wand vor ihnen auf, schwache
Schatten in den Burghof werfend.
Weiter vorne im Hof brannten zwei Fackeln, woraus sie schlossen,
dass dort der Eingang zum Hauptgebäude sein musste. Einen Moment zögerten sie,
dann schlichen sie geduckt weiter – dicht an der Gebäudewand entlang.
Plötzlich blieb Marcel stehen. Er griff nach Leons Arm. »Dort oben
ist jemand«, flüsterte er.
Leon blickte zur Empore hoch: Tatsächlich! Auch er sah die Gestalt.
Das spärliche Mondlicht hinter der Burgmauer hob sie etwas hervor. »Was jetzt?«,
fragte er.
»Wir müssen weiter!« Marcel war sich nicht sicher, ob es das
Richtige war, doch blieb ihnen keine andere Wahl.
Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort.
Zwischen den beiden Fackeln befand sich eine Tür. Es war eine
Doppelflügeltür mit Rundbogenform. Sie war etwa zwei Meter breit und wirkte
äußerst massiv. Marcel blickte nach oben zu dem Wachmann, doch er konnte schlecht
erkennen, in welche Richtung dieser gerade schaute. Zaghaft legte er die Hand
auf den Türgriff und drückte ihn langsam nach unten. Mit klopfendem Herzen
öffnete er die Tür und sie schlüpften hindurch, in einen etwa vier Meter breiten
und fünf Meter langen Vorraum. Der Boden war mit Steinen gepflastert, die
schwach im Fackellicht glänzten. Rechts und links in der Wand befand sich
jeweils eine Tür, wobei die linke offen stand. In der gegenüberliegenden Wand führte
ein Gang weiter, aus dem ihnen Licht entgegenschimmerte. Marcel überlegte kurz,
dann schlich er zur linken Tür hin. Als er sie erreicht hatte, blickte er sich
nach Leon um, der an der Eingangstür zurückgeblieben war. Marcel hatte Angst, doch
als Leon ihm zunickte, überwand er sie und spähte vorsichtig in den Raum.
Niemand war zu sehen, sodass er aufatmete. Er winkte Leon herbei und sie
betraten den Raum.
Es war der Versammlungsraum der Burg, in dem eine königliche Festtafel
gedeckt war. Sie staunten … nicht nur wegen der Festtafel, sondern auch wegen
der vielen brennenden Kerzen. Es mussten hunderte sein.
Plötzlich hörten sie Geräusche. Eine Tür wurde geöffnet. Dann
waren Stimmen zu vernehmen, die sich eindeutig näherten. Marcel blickte sich um.
»Schnell … unter den Tisch«, zischte er.
Gerade waren sie unter dem Tischtuch verschwunden, da betraten mehrere
Personen den Versammlungsraum. Sie konnten sie zwar nicht sehen, da die
Tischdecke bis zum Boden reichte, doch waren ihre Schritte deutlich zu hören.
»Seht, eine wahrlich meisterlich gedeckte Tafel«, hörten sie
jemanden sagen, worauf ihnen der Atem stockte. Es war Siebenpfahl. Sie hatten
seine Stimme sofort wiedererkannt. Siebenpfahl war also hier in diesem Raum,
aus dem es für sie nun kein Entrinnen mehr gab.
Vorsichtig krabbelten sie in die Mitte des Tisches, wo sie auf
Knien und Händen gestützt verharrten. Jetzt nur nicht husten oder niesen,
dachte Marcel und verspürte prompt einen leichten Reiz in der Nase, den er zum
Glück unterdrücken konnte.
Stühle wurden zurückgezogen und Füße unter den Tisch gestreckt,
wobei einer von ihnen Marcel fast erreicht hätte. »Lasst bitte das Essen kommen«,
hörten sie Siebenpfahl sagen, worauf eilige Schritte zu vernehmen waren. Es
schienen mehrere Bedienstete damit beschäftigt zu sein, das Mahl aufzutragen. Der
Duft der Speisen war so intensiv, dass Marcel und Leon das Wasser im Mund
zusammenlief. Sie wünschten sich,
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