Siebenpfahl (German Edition)
hatte noch etwa dreißig Meter. Sie konnte das Hufgetrampel
bereits dicht hinter sich hören. Schnell tauschte sie mit Irmel die Blumensträuße,
gab ihr einen Schubs. »Lauf, mein Engel, lauf!«, schrie sie, dann blieb sie stehen.
Sie blickte herum, und sah das erhobene Schwert des Ritters …
Irmel hatte es geschafft: Sie rannte durchs Stadttor, kurz bevor
es heruntergelassen wurde. Als sie sich umdrehte, erschrak sie. Wo war ihre
Mutter? Sie war nicht mit hereingekommen. Fragend richtete sie den Blick nach
oben zu den Wachen, wie auch all die anderen Frauen und Kinder.
»Der Ritter ist aus dem Sattel geschossen worden!«, rief einer der
Torwächter herunter. »Ein Pfeil hat ihn getroffen. Die anderen Angreifer warten
in sicherer Entfernung.«
Siebenpfahl hatte sich frühzeitig zurückfallen lassen. Er wusste,
dass sich unter den Wachen hervorragende Bogenschützen befanden und wollte
daher kein Risiko eingehen. Regungslos stand er da, den Blick auf die Wachen des
Stadttores gerichtet. Auch sie hatten sich gegen ihn gestellt … und würden
dafür bestraft werden. Er wendete sein Pferd und ritt den Berg hinab, seine Männer
folgten ihm wortlos.
Ferdinand, der Wachhabende, ließ das Tor hinaufziehen. Er trat zu Margret
hinaus, die am Boden lag. Er ärgerte sich, dass er nicht genug Soldaten zur
Verfügung gehabt hatte, um den Angreifern entgegenzutreten. Doch der Befehl
lautete nun einmal, bei einem Angriff das Tor zu schließen, bis Verstärkung kam.
*
» C onrad, komm schnell!«, rief Wilhelm, der Schmied. »Es gab
einen Überfall vor dem Stadttor!«
Conrads Gesichtszüge spannten sich. Sofort gingen ihm Margret und
Irmel durch den Kopf und er rannte los … von einer bösen Vorahnung getrieben.
Am Stadttor angekommen, verlangsamte er seinen Schritt, denn dort
hatte sich eine dichte Menschenmenge versammelt. Nach und nach drehten sich die
Umherstehenden zu ihm um und bildeten eine Gasse, sodass er Irmel sehen konnte,
die weinend über ihrer Mutter lag. Kurz hielt er an, dann ging er weiter, bis zu
ihnen hin. Er kniete nieder und küsste Margret liebevoll auf die Stirn, während
sich seine Augen mit Tränen füllten. Er blickte in ihr Gesicht, ungläubig, und zutiefst
betroffen, dass sie tot war.
Nach einer Weile nahm er sie und erhob sich mit ihr. Sie auf Armen
tragend durchschritt er die Menschengasse, während ihm Irmel folgte. Einige der
Umherstehenden weinten und bekreuzigten sich. Gebete wurden gesprochen und
Flüche auf den Mörder hörbar … doch all das nahm Conrad nicht wahr. Er vernahm
nicht einmal mehr den grellen Blitz, der, gefolgt von einem lauten Donner, den
Regen einleitete, der sich nun heftig auf sie niedergoss.
*
M arcel und seine Freunde hatten die schreckliche Nachricht gerade
erhalten. Johann hatte sie ihnen überbracht.
Sie mussten Conrad unbedingt entgegengehen und verließen eilig die
Unterkunft.
Am unteren Burgtor angekommen, erblickten sie ihn. Er trug Margret
auf Armen und schritt langsam und bedächtig voran, so als wollte er vermeiden,
ihr weh zu tun.
Der strömende Regen hatte Margrets Haar geglättet, sodass ihre
Locken verschwunden waren. Das durchnässte Kleid klebte an ihrem Körper und war
rot vom vielen Blut. Conrad schien um Jahre gealtert, sein Blick war starr vor
Entsetzen.
»Irmel, komm zu mir«, brachte Marcel mit belegter Stimme hervor,
als sie bei ihnen angekommen waren. Doch Irmel stand nur da und blickte zu Boden,
den Blumenstrauß fest an sich gedrückt. All die Fröhlichkeit, die das kleine
Mädchen in sich getragen hatte, war verschwunden.
Marcel ergriff ihre Hand, dann gingen sie alle gemeinsam weiter.
In der Unterkunft angekommen, legte Conrad Margret sanft auf ihrem
Nachtlager ab, während Caspar, der mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem
Boden saß, verängstigt dreinblickte. Er spürte, dass etwas mit seiner Mutter geschehen
war, und erhob sich langsam. Mit kurzen Schritten trat er zu ihr hin, blickte
entsetzt auf die blutgetränkte Kleidung und sank vor ihr nieder.
Conrad schluckte schwer. Er streichelte Caspar über den Rücken,
dann zog er ihn sanft zurück. »Mama ist jetzt im Himmel, beim lieben Gott«,
flüsterte er, doch Caspar konnte sich nun nicht mehr halten. Heftig weinte er
und klammerte sich an seiner toten Mutter fest. Er war sich in diesem Moment
zwar sicher, dass sie einen Platz im Himmel gefunden hatte, doch hätte er sie
viel lieber bei sich auf Erden gehabt …
*
E berhard und der
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