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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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einem Idioten zurückgewiesen worden war, der mich an der Nase herumgeführt hatte.
    Er lächelte, weil er nicht wusste, dass auch auf ihn ein Loch in der Grosvenor Road wartete, und auch wenn er darin sterben wird, wird es seine Tochter sein, die noch mehr leidet als er.
    Achten Sie darauf, dass Kinder sich nicht dem Bullauge nähern.
    Hätte ich gewusst, dass mich eine Leidenszeit auf Raten erwartete, die sich prompt drei Jahre später mit einer bescheuerten enttäuschten Liebe erneuern würde, dann hätte ich mich gleich umgebracht.
    Ich schaute dem jungen Mann mit der hohen Stirn und dem Jogginganzug von Lonsdale hinterher, sah, wie er den Motor anließ, immer noch die Nase tief in die rote Parabel der Rosen vertieft, sah, wie eine der Rosen ihre spiralförmig geöffnete Blüte dem gierigen Saugen der Nasenflügel entgegenreckte, diese schamlose Verräterin, diese verstümmelte Hure.
    Das Geschäft war offen.
    Ich ging hinein. Es war niemand drinnen. Ich sagte »Hallo!« mit der seltsamen Stimme eines Menschen, der mit sich selbst redet. Ich schaute mich um. Nur Klamotten. Dieselben Klamotten, die mich jeden Dienstag und Donnerstag hatten kommen sehen, damit ich Wen zuhörte, der mir seine Sprache beibrachte. Dieselben Klamotten, die mich dabei gesehen haben, wie ich ihn anflehte, mit mir zu schlafen.
    Bunte und gestreifte Stoffe, glänzende, symmetrische Knöpfe, zwinkernde Herzchen, aufmunternde Sternchen, schmachtende Spitze, eng anliegende Verheißungen für ein phantastisches Wochenende, schimmerndes Nylon, das die Sünden der Welt wegnimmt.
    Die Klamotten von vor einem Monat hatten sich vervielfältigt.
    Ich berührte die verlogenen Seidenimitate der Nachthemden, strich über die falsche Spitze, die mit der Maschine genäht war.
    Ein Pesthauch aus synthetischer Gnade.
    Mit gehäuften Anzeichen zwanghafter Jugendlichkeit.
    Und dem hohen Risiko einer auf Gegenseitigkeit beruhenden ewigen Liebe.
    Vor drei Jahren hätte mir dieses Geschäft tierisch gefallen.
    Ich nahm die Schere aus der Kassenschublade. Stürzte mich auf die rosa Latzhose, die den Reigen eröffnete, und entleibte dieses frivole Stück, das ich mir am Körper einer höflichen und ausgeprägt englischen Blondine vorstellte.
    Zuerst fielen die Hosenträger mit den Pompons, die an die Flederwische einer Cheerleaderin erinnerten. Bald wurde mein Schnippeln einfallsreicher, ich schnitt Löcher in der Form von Geschlechtsorganen, dann war der karierte Minirock dran, der sich vor Angst in die Hose machte und überall Fäden verlor, doch ich kenne keine Gnade. Mein Massenmord an Stoffen wurde immer blutrünstiger, je weiter ich mich auf der Stange vorarbeitete, von S bis XL, keine Überlebenden.
    Zu meinem Waffenarsenal gehörten auch die Drahtkleiderbügel, die ich über den Krägen zum beengenden Korsett machte. Aber auch BHs, die wie Vogelkäfige über jeder Brust sitzen, kann man sich zwei Größen zu klein kaufen, damit sie die Brüste bis aufs Blut einengen und einem die Lust, sie sich von seinem italienischen Geliebten lecken zu lassen, vergeht.
    Zack, noch ein Schnitt an der Schulterpartie der Nylonbluse, die sich hinter dem Kleid aus Velours versteckte, einer unschuldigen Bluse, die am Margeritenmorbus litt. Ich musste sie alle killen, von Größe S wie Sadismus und Sodomie bis M wie Mord, Mist, Monster, Meucheln, Misere, Mama.
    Mir zitterten die Hände, doch ich machte mit dem Amputieren weiter. Die schwarzen Ärmel der Baumwolljacke waren zum Umarmen gemacht, doch sie werden nichts und niemanden mehr umarmen als den Boden, leer, ein brandiges Geschwür aus gemeucheltem Stoff. Ich betrachtete voller Bewunderung das perfekt gerundete Bullauge, das ich der Jacke gerade verpasst hatte, sagte: »Achten Sie darauf, dass Kinder sich nicht dem Bullauge nähern«, und eine Stimme antwortete: »Ich rufe die Polizei.«
    »Nein, nein, warte.«
    Er war es. Der Bruder, der im Hinterzimmer lebte. Er schaute mich mit seinen erstaunten und erstaunlich blöden Augen an. Er trug ein faulig grünes T-Shirt mit der Aufschrift: »Sweet memories moonlight friends«. Er machte seinen überaus breiten und roten Mund auf, um mich vollzulabern, machte ihn noch breiter, als er ihn öffnete, so weit, dass man an eine Gebärende denken musste, und sagte noch einmal: »Ich rufe die Polizei.«
    »Ich zahl dir alles zurück.«
    »Ich rufe die Polizei.«
    »Nein, verdammt noch mal, warte, ich komme für alles auf. Wo ist Wen?«
    »Er ist nicht da.«
    »Wieso ist er nicht

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