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Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition)

Titel: Siebzig Acryl, dreißig Wolle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola Di Grado
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die eines ausgenommenen Fisches.
    Er schaute mir dabei zu, wie ich rückwärts schwamm, und wischte sich das Sperma vom Schenkel. Ich hatte Tränen auf der Wange. Er sagte etwas, das ich nicht hörte. Das Meer wurde aufgewühlt. Das Wort »Sperma« enthält dasselbe Zeichen wie »gereinigt«. Und wie »perfekt«. Wie »Geist«. Aber auch wie »Dämon«.
    Die Sonne schien mir seitlich auf den Rücken, während ich rückwärts schwamm, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Sein Mundmund wurde breiter und breiter, während er all die Sachen sagte, die ich nicht hören konnte.
    »Warum lächelst du denn so, Blödmann, wenn du mich zuerst vergewaltigst und mir dann den Laufpass gibst?«
    »Waaas?«
    »Warum du lächelst!«
    Eine Welle schwappte über mich hinweg und drückte mich unter Wasser, dann kam ich wieder nach oben. Mir dröhnte der Kopf. Ein Himmel, der so rot war, dass es wehtat, flehte die Nacht an, wie ein blutender Samurai, der darum bettelt, dass man ihm den Gnadenstoß gibt.
    Er redete schon wieder auf mich ein und lächelte, so groß und nackt und nass, wie er da mitten in der Grotte stand. All das, das Sperma und dieses lächelnde Lächeln auf diesen Wangenwangen, und sein Körperkörper, der mich anschaut, mit den Füßenfüßen, die am Rande der Grotte stehen, welche sich langsam entfernt, all diese Mühen eines bornierten und verlogenen Lebens, das nur Jimmy heißt. Wenn ich mir doch, bevor ich mich in Meer stürzte, einen Stein um die Brust hätte binden können.
    Zumal niemand sagen würde: »Sie wird immer einen Platz in meinem Herzen einnehmen.« Den Platz würden sie für mich finden, zwischen den Brombeersträuchern und den Glasscherben der Bierflaschen des stillgelegten Friedhofs.
    Den Weg vom Bahnhof zum Zentrum legte ich bei bescheuertem Regen zurück, der einen Moment da war, im nächsten nicht mehr und schließlich ganz weg.
    Die Christopher Road war heiß und nass wie eine Hure. Auch aus meinen Augen regnete es, sowieso, und in den Schnittwunden an meinen Beinen pochte es. Ich betrat das Haus mit Kopfweh, und da ich weder wusste, wo meine Mutter war, noch was sie machte, legte ich mich aufs Bett.
    Ich schlief, so wie mein Vater unter Tonnen von Erde schläft.
    Als das Handy in seiner Hülle vibrierte, wachte ich auf. Ich griff danach, ohne es eigentlich zu wollen, und sagte: »Hallo?«
    »Ditta Gagliardi, guten Abend.«
    »Ja, ich weiß, die Übersetzungen … ich weiß, die letzte habe ich nicht mehr geschickt. Wahrscheinlich bin ich entlassen, aber das ist mir auch scheißegal.«
    »Nein, nein, wir konzentrieren uns gerade voll auf den Verkauf. Hören Sie, wir haben eine Informationsveranstaltung organisiert, und weil der Dolmetscher verhindert ist, wollten wir fragen, ob Sie uns vielleicht aushelfen könnten …«
    »Das heißt, ich soll ins Englische übersetzen, was Sie sagen?«
    »Ja, ja. Passt es Ihnen?«
    »Nein.«
    »Gut, dann danke schön. Die Veranstaltung ist für den elften um vier Uhr angesetzt.«
    »Wie denn, am elften um vier?«
    »Wie meinen?«
    »Ich meine, wann ist das?«
    »Morgen. Dann erwarte ich Sie also.«
    »Nein, ich komme nicht. Hallo? Hallo?«
    Er hatte aufgelegt. Die Sonne malträtierte die Dinge mit Lichtstrahlen, die immer tiefer standen. Ein unerwarteter Sonnenuntergang ergoss sich hinter den ewig gleichen Dächern, und dann nichts mehr, nur noch der offene Mund der Nacht, der langsam die Stadt zerfraß, sein Züngeln, mit dem er genau gleiche Punkte des Schweigens auf jedem Haus an der Christopher Road setzte.
    Hinter mir plötzlich ein elegantes Klacken von hohen Absätzen.
    Ich drehte mich um und sah meine Mutter in ihrem eisfarbenen Seidenkostüm von Bernhard Willhelm, die flatternden schwarzen Schleifchen, die von den Puffärmeln ausgingen und sich bis zu den gestickten Lilien des Ballonrocks zogen. Ich blieb stehen, um ihr zu sagen, wie schön sie war, doch da streckte sie den Arm aus und hielt mir lächelnd einen Flyer hin. Darauf wurde eine Ausstellung der Teilnehmer des Fotokurses angekündigt. Wirklich, Mama?
    »Und wann?«
    Sie unterbrach mich mit einem weiteren Lächeln.
    »Mama, an welchem Tag ist die Ausstellung?«
    Sie zeigte auf eine Stelle in dem Flugblatt. Da stand: »4. bis 11. April in der Joyce Hall.«
    Wieder zeigte sie ein Lächeln. Es war nicht wie ihr übliches Lächeln, das bedeutete Ruhe in Frieden, sondern sah eher nach All you Need is Love aus. Gott, wie anders sie war! Auch ihr Schweigen war anders. Jetzt war es ein Schweigen, das

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