Sieg der Herzen
doch die Gäste grölten trotzdem.
Sie betrat das Haus durch die Hintertür und rechnete fast damit, dass sich ihr Pensionsgast noch in dem kupfernen Badezuber lümmelte, der ein Vermächtnis von Mr Calloway, dem Vorbesitzer, war. Doch die Küche war verlassen und dunkel bis auf das Licht einer Lampe, die mitten auf dem Tisch stand und deren Docht heruntergedreht war.
Froh und enttäuscht zugleich, zog Olivia ihren Mantel aus und hängte ihn an den Haken neben der Tür. Dann überprüfte sie den Warmwasserbehälter am Herd, weil sie dachte, dass er aufgefüllt werden müsse, doch diese Aufgabe hatte Mr McLaughlin offenbar erledigt. Sein Geschirr vom Abendessen war gespült, abgetrocknet und ordentlich auf dem Abtropfbrett gestapelt, und als sie mit der Lampe in der Hand in die Abstellkammer neben der Küche spähte, sah sie das kupferfarbene Schimmern des Badezubers, der ordentlich an seinem Haken an der Wand hing.
Sie blickte zur Decke und fragte sich, ob Mr McLaughlin schon zu Bett gegangen sei. Zweifellos war er nach einem Tag Sklavenarbeit tief unter der Erde erschöpft gewesen, und eine Serenade mit donnernden Akkorden würde ihn vermutlich nicht erfreuen. Andererseits stieg das Verlangen nach Musik in Olivia auf wie Lava in einem Vulkan; sie wusste nicht, ob sie es im Zaum halten könnte, ohne wahnsinnig zu werden.
Sie war immer noch unentschlossen und suchte nach einem Ausweg, als sie Mr McLaughlins Schritte auf der hinteren Treppe hörte. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sein Erscheinen sie so unvorbereitet erwischte, doch es war so. Er sah ziemlich gut aus, Haar und Bart waren gepflegt, die Kleidung war sauber und neu. Er hielt ein Buch in der Hand und benutzte einen Zeigefinger als Lesezeichen, um sich die Stelle zu merken. Und obwohl sich Olivia plötzlich sehnlich wünschte, den Titel zu erfahren, konnte sie ihn nicht erkennen, so sehr sie auch hinschielte und sich den Hals verrenkte.
»Ich dachte mir ... ich möchte eine Weile Klavier spielen«, sagte sie, um seine Reaktion zu testen. Es war ihr eigenes Haus, und sie konnte darin tun, was ihr beliebte; aber wenn Mr McLaughlin seine wenigen Sachen packte und auszog, würde sie finanziell in der Klemme stecken.
»Das würde mir gefallen«, erwiderte er sehr ruhig. Seine Blicke schienen sie zu hebkosen - aber das war vermutlich nur ein Streich, den ihr der Lampenschein spielte. Oder ihre albernen Gefühle. Sie war schließlich müde und verwirrt und - kein bisschen entmutigt.
Sie nickte nur; wie bei Savannah fühlte sie sich plötzlich sprachlos. Vielleicht, dachte sie bedrückt, bin ich unfähig, eine freundliche Geste von jemandem zu akzeptieren, so unschuldig sie auch sein mag. Sie nahm an, dass es ein weiterer ihrer Charaktermängel war.
Hastig verließ sie die Küche, ließ die Lampe auf dem Tisch stehen und eilte ins Wohnzimmer. Dort brannte ihre beste Kugellampe, und das Licht fiel in vielerlei weichen Farben durch die bemalte und verzierte Chinaseide der Bespannung.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Klavier, hob den Deckel über der Tastatur und spannte und entspannte die Hände. Dann vergaß sie alles über Jack McLaughlin, alles über die Männer und Frauen von Springwater und sogar Tante Eloise und begann zu spielen. Sie spielte, bis ihre Seele die Tränen geweint hatte, die sie sich nicht erlauben konnte, selbst zu vergießen. Sie spielte, bis sie sich körperlich und seelisch verausgabt hatte, bis ihre Hände schmerzten und sie sicher sein konnte, tief und traumlos schlafen zu können.
Oben, entspannt auf seinem Bett, das Buch mit Abenteuergeschichten aus dem General Store vergessen auf der Brust, lauschte Jack dem Musikfeuerwerk, das mal herzzerreißend langsam und melodisch, mal furios anschwellend und hektisch war, und wusste genau, was er hörte.
Er lächelte vor sich hin. Was immer sie auch dem Rest der Welt weismachen wollte, Miss Olivia Darling war eine leidenschaftliche Frau. Während all diese süße Ekstase über ihn hereinbrach, die wilde und aufwühlende Flut von Noten, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sich vorzustellen, selbst der Adressat all dieser Leidenschaft zu sein und sie mit seiner eigenen zu vereinigen.
Er schloss die Augen. Er war in seinem Leben mit vielen Huren im Bett gewesen, auch mit ein paar einsamen Witwen, doch meistens hatte er anständige Frauen gemieden. Nach seiner Denkungsweise hatte ein Mann kein Recht, die Gunst einer Lady zu genießen, wenn er nicht vorhatte, ihr einen
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