Sieg der Herzen
goldenen Ehering an den Finger zu stecken. Und in diesem Fall konnte er verdammt gut bis nach der Trauung warten.
Olivia war ohne den geringsten Zweifel eine gute und anständige Frau, das war offenkundig. Sie verdiente einen weitaus besseren Mann als einen Satteltramp wie ihn, einen Herumtreiber, der reichlich Anlass hatte, sich angesichts seiner Vergangenheit zu schämen. Trotzdem erlaubte er es sich, sie sich nackt vorzustellen - wie sie unter seinen Händen und seinem Mund dahinschmolz und sich schließlich unter seinen Hüften emporwölbte und auf dem Höhepunkt der Lust immer wieder seinen Namen schrie.
Er riss die Augen auf, setzte sich ruckartig im Bett auf, rutschte bis zur Bettkante und atmete tief durch. Dann stemmte er die Ellenbogen auf die Knie und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Das Buch war zu Boden gefallen.
Er hatte den ganzen Tag lang wie ein Ochse geschuftet, und er war wie betäubt vor Müdigkeit. Er musste die Lampe löschen, sich ausziehen und sich schlafen legen, doch Miss Olivia und ihre Musik hatten ihn aufgewühlt wie niemals etwas in seinem Leben.
Nach Springwater zu reiten, war überhaupt keine leichte Entscheidung gewesen; nach einer langen Zeit in einem Gefängnis der Yankees war er aus purem Hass zum Raider geworden, zum Plünderer und Saboteur, der etwa anderthalb Jahre lang Störangriffe auf Besatzungstruppen des Bundes und ihre Versorgungszüge durchgeführt hatte. Er hatte dies gemacht, bis ein Mann - eigentlich noch ein Junge - der gegnerischen Seite ums Leben gekommen war. Danach war er zur Vernunft gekommen und hatte sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. Es war jedoch durchaus möglich, dass er östlich des Mississippi immer noch steckbrieflich gesucht wurde, denn dieser junge Blaurock war sicherlich nicht von den Toten auferstanden.
Danach hatte er sich jahrelang treiben lassen, war von Stadt zu Stadt geritten, von Ranch zu Ranch, hatte über die Dinge nachgegrübelt und alles verarbeitet, während er Vieh getrieben oder in irgendeinem Mietstall Pferde beschlagen hatte. Es war schon hart genug, jetzt hier zu sein, so nahe bei Jacob und June, und trotzdem wie durch eine Kluft von ihnen getrennt zu sein. Und jetzt gab es auch noch Olivia.
Er hatte nicht damit gerechnet, eine Frau kennen zu lernen - schon gar keine magere, streitsüchtige alte Jungfer - und so viele neue und turbulente Reaktionen zu empfinden, die alle auf sie zurückzuführen waren. Er kannte Olivia erst seit zwei Tagen, und sie war bereits der Mittelpunkt seiner Gedanken, ob er es wollte oder nicht.
Allmählich wurde die Musik weicher und verklang.
Er lauschte, als sie unten auf und ab ging. Vermutlich Fenster und Türen schloss. Dann hörte er sie die hintere Treppe emporsteigen. Er sah das Licht ihrer Lampe, ein goldener Strich unter seiner Tür, der dort fast eine Minute verweilte, bevor er sich entfernte.
Dann war sie fort; ihre Zimmertür schloss sich leise.
Er zog seine Stiefel aus, löste seine Hosenträger, zog das Hemd aus den Hosen und begann es aufzuknöpfen. Und die ganze Zeit über fragte er sich, was sie ihm hatte sagen wollen, warum sie draußen auf dem Gang so lange stehen geblieben war. Es konnte kein Zufall sein, dass sie gerade dort gezögert hatte.
»Lass es auf sich beruhen«, murmelte er vor sich hin und zog sich zu Ende aus. »Vergiss es einfach.« Dann löschte er die Lampe und legte sich ins Bett. Es kam ihm in dieser Nacht breiter vor, auch kälter und leerer, und es dauerte lange, bis er einschlief, obwohl er hundemüde war.
Der Schrei riss Olivia aus tiefem Schlaf. Sie setzte sich ruckartig auf, schnappte nach Luft und war überzeugt, den Schrei in irgendeinem schrecklichen Albtraum selbst ausgestoßen zu haben. Als sie ihn wieder hörte, wurde ihr klar, dass er aus Mr McLaughlins Zimmer gekommen war.
Sie schnappte sich ihren Morgenrock, streifte ihn über ihr Nachthemd, eilte über den Gang, klopfte an die Tür und stürzte ins Zimmer, ohne zu überlegen, ob eine solch kühne Tat richtig war.
Er schrie mit rauer, wie erstickt klingender Stimme einen Namen, doch sie konnte nicht richtig verstehen, welcher es war. Vermutlich ruft er nach einer Frau oder Geliebten, dachte Olivia; seine Stimme klang so verzweifelt und von schmerzlichen Gefühlen erfüllt. Sie war überzeugt, dass irgendwo eine Frau auf ihn wartete oder es zumindest einst eine gegeben hatte.
»Mr McLaughlin!« Sie zündete die Lampe auf seinem Nachttisch an und sah, dass er sich immer
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