Sieg der Herzen
gestutzt hatte, schien es heller zu werden und in dem goldenen Ton reifen Weizens zu schimmern. Sie schnippelte so viel von seinem Bart fort, wie sie konnte, während er geduldig auf dem Küchenstuhl saß, doch dann wusste sie nicht mehr weiter, denn sie besaß keinen Rasierapparat. Als sie getan hatte, was ihr möglich war, stand er auf und stieg wortlos die Treppe hinauf.
Olivia rechnete nicht damit, dass er zurückkommen würde, doch das tat er. Er brachte eine Schale für Seifenschaum und einen Rasierapparat mit.
»Wir sollten die Sache zu Ende bringen, wenn wir schon mal angefangen haben«, meinte er.
Olivia hatte das Gestrüpp von dichten hellbraunen Barthaaren gestutzt, und als er sich eine Schüssel mit Wasser holte, zu dem kleinen Spiegel an der Wand neben der Tür ging und sich zu rasieren begann, riskierte sie einen Blick in seine Richtung.
Sie fand ein wenig Arbeit, um sich zu beschäftigen, damit sie bleiben und ihn aus den Augenwinkeln beobachten konnte, doch nichts hatte sie auf das Gesicht vorbereitet, das er ihr nach der Rasur zuwandte.
Es sah so gut aus, dass sein Anblick ihr den Atem verschlug.
9
W as er in der Nacht für eine gute Idee gehalten hatte, hatte fünf Minuten nach seinem Erwachen am Morgen viel von seinem Reiz verloren, wie Jack wehmütig feststellte, als er sich im Spiegel seiner Frisierkommode betrachtete. Er sah aus wie - nun, wie er selbst. Wie die Person, die er eigentlich hatte hinter sich lassen wollen.
Er rieb sich übers Kinn, das jetzt bis auf die täglichen Stoppeln kahl war. Gestern hatte ihn June fast erkannt; wenn sie oder Jacob ihn jetzt aus der Nähe sahen - ohne Bart und Haarmähne -, würde das Spiel aus sein. Es war zwar richtig, ihnen endlich gegenüberzutreten, aber er hatte Angst - Angst vor ihrer Trauer, vor ihrem berechtigten Zorn, Angst, von seinem eigenen Kummer und den Schuldgefühlen überwältigt zu werden. Jeder würde ihn für einen Feigling halten. Aber »jeder« war nicht seinen Weg gegangen, war nicht dort auf diesem Schlachtfeld gewesen, bedeckt vom Blut eines anderen, und niemand, der die Geschichte aus zweiter Hand hörte, konnte wirklich verstehen, was an jenem Tag geschehen war.
In weniger als einer Stunde musste er unten im Stollen der Mine sein, und er musste noch sein Pferd aus der Springwater Station holen, eine Aufgabe, die er an diesem Morgen angesichts seines neues Aussehens mehr fürchtete denn je. Er war noch nicht bereit, Jacob gegenüberzutreten, obwohl er gewusst hatte, dass es bald geschehen würde.
Er stemmte die Hände auf die Kante des Frisiertisches, lehnte sich dagegen und senkte den Kopf. Es würde nichts Erfreuliches sein, was er den McCaffreys zu sagen hatte. Andererseits würde er niemals eine Chance haben, seinen Seelenfrieden zu finden, wenn er es ihnen nicht sagte. Und dann war da Olivia. Bis er sie kennen gelernt hatte, hatte er nicht gewusst, dass es möglich war, eine Frau so sehr zu begehren. Sie zu verlassen, das wäre, als würde ein Teil von ihm selbst abgerissen.
»Triff endlich die Entscheidung, du Bastard«, murmelte er. »Reite oder bleib. Erzähl die ganze bittere, hässliche Geschichte oder reite davon und blick nie mehr zurück. Aber entscheide dich, verdammt noch mal. Entscheide dich!«
Er richtete sich auf und rieb sich übers Kinn. Er war zu der Haltung erzogen worden, dass selbst die schmerzlichste Wahrheit stets besser als eine Lüge sei, und diese Überzeugung war tief in ihm verwurzelt. Dennoch hätte er Jacob und June die grauenhaften Einzelheiten über den Tod ihres Sohnes und über alles, was darauf gefolgt war, am liebsten erspart. In vielerlei Hinsicht war Letzteres der schlimmste Teil.
Was er ihnen zu sagen hatte, konnte nur schmerzlich für sie sein, nicht tröstend. Die eindringlichen Bilder und die Schilderung der Geräusche und Gerüche würden sie nach der Begegnung mit ihm quälen. Anstatt allein seine Folter zu sein, würden sie sich auch in ihren Herzen einbrennen. Als ehrbare Leute, anständig und gut, würden sie die Bürde seiner Schande für den Rest ihres Lebens tragen müssen.
Er zwang sich, seine Gedanken wieder auf Olivia zu konzentrieren. Sie hatte alles kompliziert, indem sie June in ihr Haus gebracht hatte, als er gerade da gewesen war; und das ließ sich nicht rückgängig machen. Nein, Sir. Am besten machte er endlich reinen Tisch, so oder so.
Olivia. Sie hatte ihn in vielerlei Hinsicht verändert, sicherlich unwissentlich. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen,
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