Sieg der Leidenschaft
Zimmer.
Durch das eiskalte Washington fegte ein heftiger Wind. In Florida würde sie warmen Sonnenschein genießen, ihre Eltern und ihre kleine Schwester Wiedersehen. Vielleicht würde auch Jerome nach Hause kommen. Selbst wenn sie die weite Reise nicht schaffte
- zur Zeit war Brent nur knapp hundert Meilen von ihr entfernt. Wahrscheinlich würde sie ihre Schwägerin in St. Augustine antreffen - und es wäre einfach wundervoll, die Feiertage bei Tante Tara und Onkel Jarrett auf Cimarron zu verbringen. So viel hätte sie unternehmen können - statt ihr junges Leben erneut aufs Spiel zu setzen.
Bedrückt hatte sie den Wagen von Süden her zur Grenze gesteuert. Auch diesmal saß Sissy neben ihr. Ein junger Lieutenant von der Konföderation hielt Wache und bedeutete Sydney, das Gespann zu zügeln. Fröstelnd trat er von einem Fuß auf den anderen und rieb sich die Hände, die in durchlöcherten Handschuhen steckten. »Guten Abend, Ma'am. Darf ich Ihre Papiere sehen? Und erklären Sie mir bitte den Grund Ihrer Reise.«
Sydney reichte ihm die Dokumente. »Mit der Genehmigung der Yankee-Behörden brachte ich Briefe von den Gefangenen im Old Capitol nach Süden. Colonel Meek, der mit seiner Kompanie gerade auf dem Rückweg nach Harper's Ferry war, nahm die Briefe entgegen und unterschrieb die Erlaubnis für meine Rückkehr in die Nordstaaten.«
»Mrs. Sydney - McKenzie Halston?«, fragte er und sie nickte. Plötzlich lächelte er. »Wenn Sie Ihren Mann oder
Ihren Vetter Ian sehen, richten Sie ihnen bitte herzliche Grüße von Rafe Johnston aus.«
»Haben Sie zusammen mit Ian in der Kavallerie gedient?«
»Und mit Ihrem Mann, unter Magee. Wie ich höre, hat Ihr Bruder Magees Tochter geheiratet.«
»Es geht allen gut und ...« Erschrocken verstummte sie. Aus dem Planwagen drang ein lautes Niesen.
Johnston starrte sie mit schmalen Augen an und sie spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. Nun würde er sie festnehmen - eine überzeugte Rebellin, die entlaufene Sklaven nach Norden brachte. Womöglich würde man ihr nicht einmal den Prozess machen und sie noch am selben Abend hängen, um ein Exempel zu statuieren und zu beweisen, dass die Konföderation nicht einmal weibliche Spione und Verräter duldete.
Sekundenlang senkte Johnston den Blick, dann schaute er sie wieder an und gab ihr die Papiere zurück. »Frohe Weihnachten, Mrs. Halston. In diesen Tagen sollte man für den Frieden beten.«
Fast unhörbar seufzte sie auf. »Frohe Weihnachten, Lieutenant.« Sie wollte die Zügel ergreifen. Dann erinnerte sie sich an ihre bestickte Reisetasche - an das Geschenk, das sie mitgenommen hatte, falls sie Brent sehen würde. Schöne weiche Kalbslederhandschuhe. »Lieutenant ...« Sie holte die Handschuhe hervor. »Dieses Geschenk wollte ich meinem Bruder bringen. Leider habe ich ihn nicht getroffen. Bitte ...«
»Nein, Ma'am, das kann ich nicht annehmen.« Offenbar fürchtete er, man würde ihm vorwerfen, er habe sich bestechen lassen.
»Aber ich würde die Handschuhe doch so gern jemandem schenken, der sie wirklich gebrauchen kann. Bitte ...«
Zögernd nahm er die Handschuhe entgegen. »Danke. Und jetzt beeilen Sie sich, Ma'am.«
Während Sydney die Maultiere anspornte, flüsterte Sissy: »Dem Himmel sei Dank!«
»Wir sind immer noch im Rebellengebiet. Nun müssen wir an den Yankees vorbeikommen. Wenn uns der elende Schurke aufhält und den Weg versperrt, der uns letztes Mal drangsaliert hat ...«
»Nicht am Heiligen Abend«, behauptete Sissy und sie behielt Recht.
Zur Weihnachtszeit waren die Wachtposten der Yankees genauso sentimental gestimmt wie der junge Lieutenant aus den Südstaaten. Alle sehnten das Ende des Kriegs herbei, wollten nach Hause, und entlang der ganzen Front erklangen Weihnachtslieder. Der Offizier, der den Wagen aufhielt, warf nur einen kurzen Blick auf Sydneys Papiere. Und niemand nieste.
Wenig später fuhren sie durch eine dunkle Gasse hinter der South Capitol Street, in der Nähe von Reverend Henry Turners African Methodist Episcopal-Pfarre. Washington bedeutete Freiheit für die Sklaven, aber die Hauptstadt sicherte ihnen keinen Lebensunterhalt, nicht einmal eine anständige Mahlzeit. Da der Reverend seinen schwarzen Brüdern und Schwestern stets bereitwillig half, brachten Sydney und Sissy die beiden Männer und die drei Frauen, die sie südlich von der Grenze getroffen hatten, zu der Kirche.
Überschwänglich bedankten sich die Flüchtlinge, als sie ausstiegen. Einer der Männer
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