Sieg der Leidenschaft
trug ein mehrfach misshandeltes schwangeres junges Mädchen auf den Armen, dessen Geschichte Sydney veranlasst hatte, ihr Leben erneut aufs Spiel zu setzen und südwärts zu fahren. Eine der anderen Frauen griff nach ihrer Hand und versuchte sie zu küssen. »Bitte, nicht!«, flüsterte Sydney. »Gehen Sie jetzt. Frohe Weihnachten.«
»Gott segne Sie, Madam«, sagte ein großer, kräftig gebauter schwarzer Feldarbeiter.
»Und Sie auch«, erwiderte sie.
»Ich begleite unsere Schützlinge zum Reverend«, erklärte Sissy. »Findest du dich allein zurecht, Sydney?«
»Ja, natürlich.«
»Aber Maria ist nicht in der Wohnung. Sie will den Heiligen Abend bei der alten Mrs. Lafferty und den Waisenkindern verbringen.«
»Mach dir keine Sorgen, das stört mich nicht. Ich bin todmüde und möchte mich ausruhen.«
»Morgen früh komme ich heim.«
»Sicher können wir irgendwo ein gutes Weihnachtsdinner kaufen.« Sydney verabschiedete sich von Sissy, dann brachte sie den Wagen zum Mietstall in der Nähe ihres Apartments.
»So spät am Abend sollten Sie nicht allein nach Hause gegen, Mrs. Halston«, mahnte der Nachtwächter.
»Mir wird schon nichts passieren.«
Um Mitternacht trieben sich noch viele Leute auf den Straßen herum, in Kriegszeiten keine Seltenheit. An einer Ecke standen ein paar Offiziere, die sich eine Flasche Brandy teilten und Sydney neugierig anstarrten. Als sie salutierten, nickte sie ihnen zu und eilte weiter.
Endlich erreichte sie das Apartment. Im gemütlichen Wohnzimmer brannte ein Feuer und auf dem Kaminsims lag ein Brief von Maria.
Liebe Syd, ich spiele für die armen Kleinen den Weihnachtsmann. Major Cantor hat uns Roastbeef gebracht - Du findest es auf dem Tisch im Esszimmer - und dazu einen köstlichen Rotwein. (Wie gut er schmeckt, weiß ich, weil ich ihn probiert habe.) Ich habe ein heißes Bad für Dich vorbereitet und ein Geschenk neben die Wanne gelegt, Lavendelseife. Vielleicht dampft das Wasser nicht mehr, wenn Du nach Hause kommst. Vor dem Kamin steht ein Kessel. Alles Liebe, Maria.
Lächelnd legte Sydney den Brief beiseite. Wenn sie auch weit von ihrer Heimat entfernt war - sie hatte gute Freunde gefunden. Sie nahm ihren Umhang ab und schlüpfte aus den Stiefeln. Dann ging sie in ihr dunkles Schlafzimmer. Sogar hier brannte ein Feuer im Kamin und beleuchtete die hölzerne Badewanne. Sydney tauchte einen Finger ins Wasser. Immer noch warm. Vor den Flammen stand ein Kessel und sie goss das dampfende Wasser in ihr Bad, bevor sie ihre Kleidung ablegte. Als sie ihren Rock über die Hüften hinabstreifte, fielen die Reisepapiere aus der Tasche. Sydney ließ sie einfach liegen, nach der langen Fahrt durch die kalte Nacht wollte sie sich endlich wärmen. Sie setzte sich in die Wanne, legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Wenig später wurde sie von einem sonderbaren Unbehagen erfasst, hob die Lider und erstarrte. Jesse saß in ihrem einzigen Lehnstuhl, halb verborgen von den Schatten an der gegenüberliegenden Wand, in einem weißen Baumwollhemd, seiner Uniformhose und hohen Stiefeln. Seit der letzten Begegnung war sein Gesicht schmaler geworden. Schweigend schaute er sie an.
»Jesse ...«, hauchte sie.
»Wo warst du?« Er stand auf und kam zur Wanne.
Verzweifelt suchte sie nach Worten, richtete sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. »Darüber kann ich jetzt nicht reden. Ich habe dich nicht erwartet.«
»Offensichtlich.«
»Sechs Monate lang habe ich nichts von dir gehört!«, fauchte sie. »Außerdem hast du mich nach der Hochzeit aufgefordert, die Ehe annullieren zu lassen.«
»Was du nicht getan hast. Nun, wo warst du?«
»Das geht dich nichts an. Was bildest du dir eigentlich ein, mich zu verhören - ausgerechnet jetzt, wenn ich ein Bad nehme? Geh hinaus, damit ich mich anziehen kann ...«
»Ich habe dich geheiratet, Sydney«, unterbrach er sie mit leiser Stimme und stützte sich auf den Wannenrand. »Danach benahm ich mich wie ein Gentleman -und zog in den Krieg. Heute Nacht bin ich zurückgekommen. Wo warst du?«
Nervös erwiderte sie den Blick seiner klaren, gnadenlosen braunen Augen. In diesem halben Jahr hatte er sich verändert. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er ein Kriegsgefangener der Konföderierten gewesen -und sie seine Krankenpflegerin. Sie erinnerte sich sehr gut, wie er sie damals angesehen hatte, an den angenehmen Klang seiner Stimme, seines Gelächters, die sanfte Berührung seiner Hände. Jener Mann existierte nicht mehr. »Ich bin
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