Sieg der Leidenschaft
Hand, die ihr das Mädchen reichte. »Wie geht es Ihnen denn, Miss Bryer?«
»Danke, so gut es einem hier gehen kann. Natürlich haben wir von Ihrer Ankunft gehört. In einem kleinen Camp verbreiten sich solche Neuigkeiten sehr schnell.«
»Ich kam völlig unerwartet hierher.«
»Ja, das hat uns Ihr Mann erklärt. Um ihn zu treffen, mussten Sie einiges durchmachen. Jetzt tragen Sie meine Kleider. Ihre Sachen sind voller Schlamm ...«
»Tut mir Leid, ich wusste nicht, dass der Rock und die Bluse Ihnen gehören. Vielen Dank, verzeihen Sie ...«
»Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen. Glücklicherweise genieße ich sogar in diesem Kriegslager einen gewissen Luxus und besitze mehrere Kleider zum Wechseln. Ich glaube, wir sind besser ausgerüstet als die Rebellen.«
»Irgendwie finden wir uns zurecht«, entgegnete Tia leise.
Cecilia hob die zierlichen Brauen. Offenbar fand sie es erstaunlich, dass eine Frau, die in einem Unionscamp lebte und mit einem Unionscolonel verheiratet war, sich nach wie vor mit dem Süden identifizierte. »Nun, mein Vater ist stets bereit, alle Verwundeten zu behandeln, Freund und Feind.«
»Ebenso wie mein Bruder«, versicherte Tia hastig. Verwirrt runzelte das Mädchen die Stirn und dachte, sie würde von Ian sprechen. »Mein Bruder Julian ist Militärarzt bei der Konföderation.«
»O ja, wir alle haben von ihm gehört. Einmal wurde er nach St. Augustine geschmuggelt, um General Magee zu helfen.«
»Das stimmt.«
Jetzt lächelte Cecilia wieder. »Egal auf welcher Seite Sie stehen, Mrs. Douglas - ich glaube, Sie haben ein gutes Herz, und das freut mich. In unserem Lazarett liegt ein junger Mann, der bald sterben wird - einer Ihrer alten Freunde.«
»Wer ist es?«
»Canby Jacobs. Er hat mir erzählt, seine Eltern würden eine kleine Rinderfarm besitzen, ein paar Meilen westlich von Ihrem Familiensitz bei Tampa.«
»Natürlich, Canby! Ich ging mit seiner Schwester zur Schule.«
»Wollen Sie ihn besuchen?«
»Sehr gern.«
»Er meint, vielleicht wären Sie nicht dazu bereit und würden ihn für einen Verräter halten.«
»Da irrt er sich.«
»Gut, kommen Sie bitte mit mir.«
Tia folgte Cecilia Bryer zwischen mehreren kleinen Zelten hindurch. In der Ferne sah sie ein paar Soldaten, die auf einer Wiese exerzierten, andere beschäftigten sich im Camp, wuschen ihre Wäsche, saßen an Klapptischen, schrieben Briefe oder lasen.
Im Lazarett standen vierzig bis fünfzig Betten. Fliegen summten, Patienten stöhnten, männliches und weibliches Pflegepersonal wechselte Verbände, gab den Verwundeten zu trinken und sprach beruhigend auf die Soldaten ein, die starke Schmerzen erlitten. So schlimm wie bei Olustee sah es hier nicht aus. Niemand lag in seinem Blut, mit abgetrennten oder verstümmelten Gliedern.
Aber der Soldat, zu dem Tia geführt wurde, befand sich in sehr schlechtem Zustand. Durch den soeben erneuerten Verband, der seinen Brustkorb umgab, sickerte unaufhaltsam frisches Blut. Auch die linke Gesichtshälfte war bandagiert. Tia erkannte Canby Jacobs kaum wieder.
»Ein Großteil seiner Lunge wurde weggeschossen«, wisperte Cecilia. »Wir können nicht mehr tun, als die Wunde feucht und sauber zu halten. Falls Sie den Verband wechseln, seien Sie vorsichtig.«
Bedrückt nickte Tia und trat näher an das Bett heran. Canbys unverletztes Auge war geschlossen, seine
Hand lag auf der Brust. Als Tia danach griff, öffnete er das Auge, das in dunklem Blau schimmerte, und der sichtbare Teil seiner Lippen verzog sich zu einem Lächeln. »Miss Tia! Sind Sie's wirklich?«
»Ja, Canby. Freut mich, Sie wiederzusehen.«
»Sicher biete ich keinen erfreulichen Anblick.«
»Sie werden sich bald erholen.«
»Nein, ich sterbe«, erwiderte er tonlos. »Schon gut. Ich habe meine Wahl getroffen. Wofür ich kämpfe und sterbe, wusste ich. Und ich glaube, ich habe richtig gehandelt. Deshalb wird mich der liebe Gott freundlich aufnehmen. Vielen Dank, dass Sie zu mir gekommen sind, Miss Tia. Eigentlich dachte ich, Sie wollten nichts mit mir zu tun haben. Der Krieg hat meine Familie entzweit. Jetzt lebt meine Mutter in Savannah und Pa fiel im letzten Frühling bei der Massachusetts Fourth Artillery.«
»Tut mir so Leid, Canby. Ich werde Ihrer Mutter
schreiben.«
»Nicht nötig. Sie sagte, für sie sei ihr Sohn gestorben, als er zur US-Army ging.«
»Das hat sie nicht ernst gemeint. Keine Mutter ...«
»Nicht jeder hat so tolerante Eltern wie Sie, Miss Tia. Wissen Sie, früher habe ich
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