Sieg der Liebe
begierig darauf waren, ihr mit ihren schmutzigen Händen etwas von ihrem Liebreiz zu rauben. Wollte er sie davor schützen?
Und zum erstenmal hatte sie ihn tatsächlich beim Vornamen genannt ...
„Michel, hierher! “
Diesen Klang hatte er noch nie zuvor in ihrer Stimme bemerkt. Mit einer geladenen Pistole in jeder Hand duckte er sich instinktiv hinter eine gekrümmte Ulme. Vorsichtig schlich er um sie herum.
Im nächsten Moment jedoch blieb er überrascht stehen. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet.
Es waren keine lüsternen Farmer mit Musketen da, keine betrunkenen Seeleute, keine Kesselflicker oder Vagabunden. Nur Jerusa. Im rosigen Licht der aufgehenden Sonne kniete sie mit hochgeschürztem Rock im Schmutz und pflückte, so schnell sie konnte, wilde Erdbeeren. Ihre Wangen waren gerötet, und aus ihrem Zopf hatten sich Strähnen gelöst, die sich um ihr Gesicht kringelten. Ihre Miene drückte Konzentration und Entzücken zugleich aus.
„Jerusa“, sagte er und versuchte gar nicht erst, seine Verwirrung zu verbergen. „Was tun Sie da?“
Jerusa hockte sich hin, lächelte heiter und warf ihren Zopf über die Schulter zurück. Sie war sich nicht sicher, warum ihr auf einmal so leicht zumute war, trotz der beiden Pistolen in Michels Händen. Eine unwiderstehliche Freude an diesem frühen Junimorgen hatte sie erfaßt.
„Ich pflücke Erdbeeren“, erklärte sie unbeschwert, „wie Sie sehr gut sehen können. Und was, bitte schön, haben Sie mit diesen Waffen vor?“
Mißmutig steckte er sie zurück in seinen Gürtel.
Ihr Lächeln vertiefte sich, und sie warf eine Erdbeere hoch in der Absicht, sie mit dem Mund aufzufangen, wie Joshua es oft getan hatte. Aber weil sie Michel ansah und nicht die Erdbeere, mußte sie mit der Hand nachhelfen, und statt daß die Beere in ihrem Mund landete, drückte sie sie mit den Fingern gegen ihre Lippen. Sie schluckte und lachte übermütig, als der rote Saft von ihrem Mund und über ihre Finger tropfte.
„Sie schmecken sehr gut und vor allem deutlich besser als Ihr alter Käse“, stieß sie atemlos hervor. „Ganz süß.“
Er war bereit, seine Seele dafür zu verkaufen, daß keine Beere so süß schmeckte wie ein Kuß von ihren Lippen. Sie hatte die Röcke gerafft, um die Beeren in ihrem Schoß zu sammeln, und er konnte einen Blick auf ihre Beine werfen bis zu den Strumpfbändern. Selbst die schmutzbespritzten, zerrissenen Strümpfe verbargen nicht, wie schlank ihre Fesseln und wohlgeformt ihre Waden waren. Er verspürte den Wunsch, ihre Röcke höher zu schieben, über die zarte Haut ihrer Schenkel, bis er ...
Ob sie wohl ahnte, was sie ihm antat? Wenn er nur ein bißchen Verstand hätte, würde er sie am Arm packen, zum Haus und zu den Pferden zerren und weiterreiten, bis sie Seabrook erreichten. Bis er zu erschöpft wäre, um nach ihr zu verlangen.
„Jetzt werfe ich Ihnen eine Erdbeere zu, Michel“, sagte Jerusa.
Es überraschte sie nicht, daß er die Beere mit der Hand auffing, nicht mit dem Mund, denn sie konnte sich nicht vorstellen, daß er freiwillig etwas Albernes tun würde. Das würde er niemals tun. Er lachte nicht einmal. Deswegen hatte auch sie noch nie mit ihm gelacht, jedenfalls bis jetzt nicht. Warum sollte sie auch, wenn man bedachte, was er ihr angetan hatte.
Aber hier, in einem Erdbeerfeld in der warmen Sonne wirkte Michel keineswegs wie ein Ungeheuer. Er ist nur ein normaler Mann, dachte sie. Bisher war sie noch nie einem Mann begegnet, der sich nicht von ihr betören ließ, wenn sie nur wollte.
Warum sollte es ihr bei Michel nicht gelingen? Wenn sie ihn dazu bringen könnte, ihr zu vertrauen, würde seine Wachsamkeit nachlassen, so daß sie entfliehen konnte.
Sie warf ihm noch eine Beere zu, die er wieder auffing, aber diesmal lächelte er, als er hineinbiß. Es war ein wissendes Lächeln, das sie mehr aus der Fassung brachte als seine Drohungen. Michel sah nicht so gut aus wie Tom, aber wenn er lächelte, wirkten seine Gesichtszüge weicher, seine Augen blickten wärmer und erinnerten sie mehr an das Blau eines Sommerhimmels als an das des Eises.
Unvermittelt senkte sie scheu den Kopf, doch unter halbgeschlossenen Lidern beobachtete sie ihn noch immer. Er sollte verwirrt werden, nicht sie.
„Wissen Sie, Michel“, begann sie, „ich könnte Ihnen den ganzen Tag lang Beeren zuwerfen.“
Als wollte sie es ihm beweisen, warf sie ihm noch eine Beere zu und klatschte in die Hände, als er auch diese fing. Doch sie bemerkte, daß er die
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